Leer oder frei? (02.2009)

Aus der Serie: Kreative, Stadt, Entwicklung │ 2009 Nr.09
 
Das Thema ist weder besonders neu noch einfach aber wirksame Lösungen sind mehr als rar. Geschäfte sterben. Aber die Zeit heilt alle Wunden oder besser, die Menschen sind vergesslich und gewöhnen sich schnell an den Zustand der sie umgibt. Wer kann sich noch erinnern, was zu ebener Erd´ in Leonhardstrasse, Jakoministrasse oder Griesgasse einst geboten wurde?
 
Neben den kulinarischen Versorgern wie Cafe, Gasthaus, Zuckerlgschäft, Konditor, Bäcker, Fleischhauer oder das kleine Milchgeschäft auch Buchhändler, Schreibwaren, Papiergeschäft, Blumenladen, Eisenwaren, Haushaltswaren, Fotogeschäft, dann Bandagisten, Drogerie und Apotheke fürs Wohlbefinden oder Reisebüro, Damen- und Herrenfrisör, Herren- und Damenmode, Berufskleidung, Schuhgeschäft und Schuster, Taschner, Schneider oder sogar eine Plissieranstalt, neben Knöpf´und Kurzware, Wollgeschäft und Nähmaschinen, Handschuh und Hut sowie Optiker, Juwelier, Goldschmied und Uhrmacher, Pokale, Orden, Briefmarken, Musikalien oder Schallplatten, hin und wieder eine Kleintierhandlung oder Pelze oder alles für Jagd und Fischerei und natürlich Spielzeuggeschäfte usw. usf. Bekommen hat man alles was man braucht, und das in der Nähe, in der Stadt. Freilich, heute sieht es anders aus. Das eine oder andre dieser Geschäfte fristet noch ein Dasein in der Gasse wie die letzten Zähne im alten Gebiss. Einige Läden wurden zweckentfremdet und viele stehen leer. Im besten Fall wurde aus dem Milchgeschäft ein türkischer Greißler, wo man statt früh morgens nun spät abends einkaufen kann. Und vieles aus diesem Branchenmix braucht man heutzutage nicht mehr oder ist einfach nicht mehr zu gebrauchen. Was man bis vor kurzem allenfalls noch in „schlechten“ Lagen sah, passiert mehr und mehr an den besten Adressen.
 
Die Gründe die angegeben werden, sind ebenso vielfältig wie einseitig. Sie reichen von zu kleinen Lokalen mit fehlender Verkaufs- und Lagerfläche über nicht optimalen Branchenmix bis – natürlich - zum Einkaufszentrum am Stadtrand. Außerdem immer wiederkehrend das Parkplatzproblem und zu hohe Mieten in der Stadt. Last but not least sind natürlich stadtplanerische Vorgaben und Fehler, Stadtentwicklung und Politik dran schuld. Aber wenn etwa ein „filialisierter“ Urban-People-Store wie „Diesel“ kürzlich aus der noblen Grazer Hofgasse und ganz aus der Stadt zieht, wird’s wirklich schwer verständlich. Die Gegenmittel, die verordnet werden, helfen wenig und sind ebenso vielfältig wie einseitig: Mondscheinshopping und Gutscheinaktion: Braucht man das, wenn man etwas braucht? Eine Internetplattform mit freien Lokalen.
 
Warum etwas bewerben, was offensichtlich keiner braucht? Das Verhindern von Shopping-Centern. Abgesehen davon, dass es die Politik nicht zustande bringt, wo bitte gibt’s die zusammenhängenden Riesenflächen für jene Ankermieter, die die Zugpferde der SC sind? Und Parkplätze: Wie bitte soll in der historischen Altstadt jemals Platz wie auf dem Acker sein? Geht net, punkt. Und Mieten sind im Shopping-Center keinesfalls niedriger, samt Baukosten- und Werbezuschuß und sonstigen versteckten Ablösen sowieso. Mieten werden in der Höhe bezahlt, wie sie ein Unternehmer durch Geschäftstätigkeit wieder einnehmen kann, und wenn es nichts zu unternehmen gibt, dann wird auch die geringste Miete nicht zu zahlen sein. Und wie sollen Politiker oder Planungsbeamte neue Geschäfte aus dem Hut zaubern, die der Markt nicht generiert? Was haben Bebauungspläne oder Stadtentwicklungskonzepte damit zu tun, ob man in ein Geschäft geht und einkauft oder nicht? Rein gar nichts. Nur eines ist dem allen gemein: Helfen tut das alles nicht viel, von Rostock bis Jennersdorf, von Klagenfurt bis Graz. Ohnmacht macht sich breit, nicht nur bei Innenstadtinitiativen und Stadtmarketinggesellschaften. Außer in einer einzigen dieser Straßen, der Grazer Mariahilferstrasse, dort ist kein einziges Geschäft mehr leer. Junge kreative Leute haben neue kleine Geschäfte eröffnet, wo sie produzieren, arbeiten, verkaufen – und Miete zahlen. Die Straße ist von ihrer Leere befreit, weil Neues unternommen wird, was zum kleinen Geschäftsraum und zum Charakter des Stadtraum passt und umgekehrt. Die wenigen traditionellen Geschäfte passen gut dazwischen. Vielleicht bleibt angesichts wirkungslosen Förderungsrauschens der Interessensvertreter und aller Romantik, die dem Thema der alten Geschäfte der Stadt anhaftet, nur mehr eine Revolution?

Freiheit den Erdgeschossen!
 
Harald Saiko
in Korso – stadtFORUM, Fünfzehnmal Stadt, Juni 2009
aus der Serie: Kreative, Stadt, Entwicklung │ 2009 Nr.09


Architekt DI Harald Saiko
Geboren und aufgewachsen in Graz, Architekturstudium in Graz und Paris. Gründer von SAIKO.CC als Büro für Architektur . Stadt . Kultur mit Sitz in Graz, Wien sowie Timisoara / Rumänien.

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