Mehr Mut, mehr Stadt!

 

"Mama Mia! Das ist ein Wahnsinn!" Während eines Spaziergangs entlang der Conrad-von-Hötzendorf·StraBe beklagt der Grazer Architekt und Stadtentwicklungsexperte Harald Saiko urbane Fehlgriffe. Er sei von der A2 aus Wien kommend stadteinwärts gefahren. "Was sehe ich? Eine riesige Videowall, die irgendein Musical bewirbt und den Blick auf das architektonisch wichtige Stadthallenvordach der Stadthalle verdeckt." In Wien wäre so etwas unmöglich, meint Saiko, der auch von jenen abstrusen Bemühungen gehört hat, die zur Bewilligung des eigenartigen Bauwerks geführt hatten. Die Messe selbst, sie ließ den Monitor im Jahr 2008 errichten, lässt diese Kritik kalt: "Für uns", so erklärt eine Sprecherin, "ist das bloß eine tolle Werbefläche."

Nichtsdestotrotz weht derzeit an der Conrad·von·Hötzendorf·StraBe der Hauch einer neuen Gründerzeit. Nach der Errichtung der markanten Stadthalle sind nun gleich eine ganze Reihe von Großprojekten in Planung oder in Bau; die allesamt illustrieren, welch großes Potenzial diese urbanste Achse von Graz eigentlich haben könnte. Die Styria Medien AG plant dort ihr neues Headquarter, ein Ostbahnhouse soll dereinst Büro-und Hotelflächen bieten, direkt an der Stadtausfahrt ist in den letzten Monaten das eindrucksvolle Headquarter der Pachleitner-Gruppe entstanden, gleich nebenan soll bald noch ein Hochhaus an der Liebenauer Tangente entstehen.

Gerade in einer Zeit, in der die Landeshauptstadt wieder zu wachsen beginnt, könnte das einen neuen Aufbruch markieren und für Graz auch ein merkbares Mehr an Stadt bedeuten. Wenn nicht Wirtschaftskrisen, aber auch fragwürdige Entscheidungen öffentlicher Unternehmen und insbesondere ein fehlendes politisches Interesse an Stadtentwicklung dem Ganzen noch einen Strich durch die Rechnung machen. Ein Problem ist auch die öffentliche Wahrnehmung von Städtebau jenseits des Unesco-Weltkulturerbes: "In der Altstadt wird jeder noch so kleine Umbau diskutiert, an diesen großen Entwicklungen hingegen herrscht Desinteresse", sagt Saiko.

 

Eine städtische Problemzone

Startpunkt des Spaziergangs ist die JakoministraBe, die den Jakominiplatz, den zentralen Grazer Verkehrsknoten, an den Süden der Stadt anbindet. Die Jakoministraße gilt wegen ihrer leeren Geschäfte seit Jahren als "Problemzone" und soll gerade wieder einmal gerettet werden. "Es ist schade um das Geld", kommentiert Harald Saiko die Bemühungen, die Gegend durch Ansiedlung der lokalen Kreativwirtschaft attraktiver zu machen. "Wie soll das cool sein? Die Straße ist zu eng, und solange die Bim fährt, gibt es hier keine Lösung."

Ursprünglich hieß die ganze Achse vom Jakominiplatz weg nach Süden Jakoministraße, erst das austrofaschistische Graz entschied 1935 den äußeren Teil nach Generalstabschef Conrad Hötzendorf (1852·1925) zu benennen. Obwohl dieser den Ersten Weltkrieg verloren hatte. Am Beginn dieser Straße zeigt der Blick nach Süden auf beiden Straßenseiten noch Gründerzeitbauten, dazwischen die markanten öffentlichen Gebäude, die Finanzlandesdirektion und das Straflandesgericht. Davon ist Stadtmensch Saiko begeistert: "Das ist repräsentativ. Graz hat zwar eine hohe Tradition von originärer Architektur. Aber eine richtige Kultur der Stadt, wo es große Fassaden gibt und das einzelne Haus dabei gar nicht so wichtig ist, das gibt es sonst kaum."

Architektonisch beginnt die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg südlich des Gürtels, hier liegt die Grazer Messe. Diese war Anfang der Nullerjahre knapp an der Pleite vorbeigeschrammt, die Stadt rettete das Unternehmen mit einer massiven Finanzspritze. Direkt an der Straße entstand die Stadthalle mit ihrem imposanten Vordach sowie eine neue Halle A. Das dahinterliegende Messeareal, das zuvor die längste Zeit des Jahres brachgelegen war, wurde dramatisch verkleinert. Daraus resultierte die Hoffnung, gleich ein neues Stadtviertel zu errichten, noch dazu mit einigem Potenzial, künftig die Altstadt ein wenig zu entlasten.

Der politische Wille zu einem großen Wurf erwies sich als schwach, Verkaufsrenditen als zu wichtig. Ohne an notwendige Radwege zur Erschließung des Gebietes zu denken, verkaufte die im städtischen Besitz befindliche Messe ein Grundstück an die Wohnbaugenossenschaft Neue Heimat. Im vergangenen Herbst wurde bekannt, dass die Stadt die Radwegflächen deshalb für 3,6 Millionen Euro zurückkaufen musste. "Wie in Schilda. Es fehlt die politische Stelle, die das koordiniert", erklärt Saiko, der sich zwischen 2001 und 2004 im städtischen Auftrag mit den Möglichkeiten einer abgestimmten Entwicklung des Messequadranten beschäftigte. "Die Radwege haben wir schon 2001 ins Konzept geschrieben." Demnächst sollen die Flachen nun etwas billiger zurückgekauft werden, die Genossenschaft baut auf dem Areal bereits jetzt ein riesiges Wohnbauprojekt nach Plänen von Architekt Markus Pernthaler. "Stadt wird das nicht. Das ist genossenschaftliche Bebauung, die vom Land in die Stadt transferiert wurde" sagt Saiko. Aber trotz Videowall und [Radwegignoranz - noch ist das Viertel urbanistisch nicht verloren. Nachdem zwei städtische Unternehmen - Messe und Immobilientochter GBG - lange gegeneinander versucht hatten, Investoren für zwei Hotelprojekte zu lukrieren, plant nun nur noch die GBG ein Hotel- und Bürogebäude namens Ostbahnhouse. Derzeit laufen - so die GBG - Verhandlungen mit potentiellen Investoren aus Österreich.

Privat gegen öffentlich

Anderseits soll exakt gegenüber der Stadthalle auf einem ehemaligen Sportplatz das neue Styria-Hauptquartier entstehen. Die Stadt hilft finanziell mit einer Haftung über 50 Millionen Euro, der Medienkonzern kümmert sich derzeit um eine Baubewilligung. Laut Styria-Vorstandsvorsitzendem Horst Pirker will man noch 2010 mit dem Bau beginnen. Aktuelle Pläne sind unter Verschluss, auszugehen ist von einer abgespeckten Variante, die sich auf ein größeres, dafür niedriges Gebäude mit aufgesetztem Hochhaus beschränken wird.

Der Rest wird einstweilen zum Park, den die Stadt Graz für 105.000 Euro jährlich vom Konzern unbefristet pachtet. Ein weiteres Indiz für politisches Versagen. Denn das Fehlen öffentlicher Parks gilt seit Jahrzehnten als bekanntes Manko des Viertels. Parallel zur Hötzendorfer-Straße war sogar einmal ein "Tal der Erholung" in öffentlichem Besitz angedacht worden: Doch dafür hätte die Stadt Grünflächen ankaufen müssen und die Messe Flächen nicht gänzlich verkaufen dürfen. Wieder einmal fehlte der politische Wille zur aktiven Stadtentwicklung. Unter dem derzeit zuständigen Stadtpolitiker und Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) scheint das nicht anders zu sein. Er schaffte es zuletzt nicht einmal die vakante Leitung des Stadtplanungsamts nachzubesetzen. Eine Falter-Anfrage an den Bürgermeister, welche Visionen er bezüglich der Südost-Achse habe, blieb unbeantwortet.

Auch ein Kuriosum ist mit fehlendem politischen Willen zu erklären. Seit etlichen Jahren steht die Ablöse der Pizzeria Georgi in Konzepten. Zaghafte Versuche der städtischen GBG, den widerständigen Georg Georgi zum Verkauf seines Gebäudes zu bewegen, scheiterten bislang. Georgi hatte sein Lokal neben dem einstigen Sportplatz in den Siebzigern errichtet und vor Ort seinerzeit die erste Grazer Pizzeria betrieben. Vor einem neuen Konzernhauptquartier stellt der Bau freilich einen architektonischen Freikörper dar:" Als geborener Grazer habe ich nichts dagegen, wenn sich ein Stadtviertel wandelt." Vor einigen Jahren nannte er GBG-Vertretern einen gewünschten Verkaufspreis von stolzen drei Millionen Euro: " Ich warte noch immer darauf, meinen "Lipizzaner" zu verkaufen. Styria und GBG sagen aber, das ist ein Esel, der nur weiß angestrichen ist."

Nach dem Speckgürtel

Südlich der Messe franst die Stadt noch stärker aus. Auf ein McDonalds-Dörfchen folgen Baumarkt und Lebensmitteldiscounter, auf der anderen Straßenseite prägen industrielle Anlagen und viel Schienen rund um den einst belebten Ostbahnhof das Bild. "Seit 30 Jahren ist ein Rückgang an Eisenbahnflächen im städtischen Raum zu beobachten. Wenn ich ordentliche Stadtentwicklung betreibe, dann kümmere ich mich darum", meint Saiko, der gerade für diesen südlichen Abschnitt der Conrad-von-Hötzendorfer-Straße bis zum Liebenauer Stadion große Chancen sieht. Hier müsse eigentlich, so Saiko, die städtische Immobilientochter vorsorgen. Dafür fehlte das nötige Kapital. "Dabei wäre es höchst wichtig. Der Speckgürtel wird an sein Ende kommen, Bevölkerung wird dann wieder ein die Stadt fließen, und Graz muss dann etwas anbieten können."
Gleichzeitig konterkarieren die ÖBB mit der Neuerrichtung einer Gasabfüllstation eine mögliche Entwicklung. Stadt und Land sind aus Sicherheitsgründen dagegen, die ÖBB will unbedingt die Betriebsbewilligung haben.

Ein Schritt in Richtung Großstadt

Eigentlich hätte der Turm des Liebenauer Stadions - das frühere Schwarzenegger-Stadion - ein Grazer Tour Montparnasse werden sollen. Aus Kostengründen blieb davon Mitte der Neunziger nur ein Stumpf. Doch einige Hundert Meter weiter hat der Grazer Brillenhändler Michael Pachleitner mit seiner Kombination aus Firmenzentrale und High-End-Bürogebäude zuletzt einen Markstein der Urbanität gesetzt. Auch das großzügige Innenleben kann sich sehen lassen. In großen Büros wird sich nicht nur Pachleitner selbst wie ein Kapitän einer mondänen Yacht fühlen.
Gleich nebenan soll zudem noch ein markantes Hochhaus entstehen. Für beide zeichnet das Grazer Architekturbüro GSArchitects verantwortlich: " Wir wollten der Stadt mit unserem Gebäude auch ermöglichen einen Schritt in Richtung Großstadt zu setzen" , erklärt Architektin Danjela Gojic: " Denn Graz hat so viel Potenzial. Aber so wenig Mut." Möglich wurden Gojics Bauten ob des Murpark-Einkaufszentrums weiter stadtauswärts, das zur Umwidmung eines ehemaligen Autobahnstücks zur Gemeindestraße führte. Für den bekennenden Fußballfan Harald Saiko gehört die Tangente jedoch nicht mehr zur Stadt. "Das ist eine andere Welt. Samstag, da spaziert man bis zum Stadion. Hier hört die Stadt auf."

 
Artikel Falter 09/10

Zurück