Architekturstadt? Stadtarchitektur!
Oder: Was hat Architektur mit Stadt zu tun
Über Stadt zu sprechen, heisst prinzipiell immer auch über Architektur zu sprechen. Ist es doch die Summe der Architekturen, die für jeden leicht erkennbar eine Stadt darstellt. Auch für Menschen ohne besondere architektonische Bildung und Interesse reicht eine Ansichtskarte, um Venedig von Paris zu unterscheiden, eine anonyme Stadt eher im Süden oder im Norden zu vermuten, sie als historische zb mittelalterliche oder neue zb modernistische Stadt zu identifizieren. Die Bauweisen sprechen zu uns, geben Auskunft über Klima und Geographie, über Reichtum oder Armut, über die Einbettung in die Landschaft, über Dichte und Grösse.
Diesen Zusammenhang zu erkennen, mit allen Vorurteilen und Irrtümern, heisst eine Stadt anhand ihres Bildes zu “lesen”. Das tun wir deswegen, weil wir gelernt haben, dass Architektur dem Leben mit seinen Anforderungen und Ansprüchen folgt. Wir als Europäer kennen natürlich unsere “europäische Stadt” am Besten: In der Mitte ein Platz wo sich die Stadtgesellschaft organisiert, der Markt, das Rathaus, die Kirche. Waren Städte bedroht, wurde eine Mauer herum gebaut; nachdem sich die Kriegsführung geändert hatte, folgte der Abbruch der Stadtmauern. Reiche Bürger bauten geschmückte Häuser, und statt der Stadtmauern legten sie Parks an. Die Erfindungen der Industriealisierung ermöglichten Fabriken für Massenproduktionen, der folgenden Landflucht wurde mit Arbeiter- und Massenquartieren geantwortet. Licht, Luft und Freiraum und eine Trennung von Arbeit, Wohnen und Verkehr sind die Antwort auf diese Zustände. Der Verbreitung von Kunst heraus aus den Schlössern des Adels folgen die zuerst bürgerlichen und dann staatlichen Architekturen der großen Theater und Opernhäuser, der Varietés und Museumsbauten, die das Stadtbild bis heute prägen.
Wir haben also gelernt, dass sich unser Leben und die Handlungen der Gesellschaft im Laufe der Zeit – also was man auch Geschichte nennt – im Gebauten der Architektur verwirklicht – also im Bild der Stadt. Architektur ist deshalb die Folge städtischer Erneuerung, welche aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen “passiert”. Logisch also, dass sich in ihr soziale und kulturelle, wirtschaftliche und politische Befindlichkeit der Handlungen abbilden und ausdrücken.
Diesen Zusammenhang zu erkennen, mit allen Vorurteilen und Irrtümern, heisst eine Stadt anhand ihres Bildes zu “lesen”. Das tun wir deswegen, weil wir gelernt haben, dass Architektur dem Leben mit seinen Anforderungen und Ansprüchen folgt. Wir als Europäer kennen natürlich unsere “europäische Stadt” am Besten: In der Mitte ein Platz wo sich die Stadtgesellschaft organisiert, der Markt, das Rathaus, die Kirche. Waren Städte bedroht, wurde eine Mauer herum gebaut; nachdem sich die Kriegsführung geändert hatte, folgte der Abbruch der Stadtmauern. Reiche Bürger bauten geschmückte Häuser, und statt der Stadtmauern legten sie Parks an. Die Erfindungen der Industriealisierung ermöglichten Fabriken für Massenproduktionen, der folgenden Landflucht wurde mit Arbeiter- und Massenquartieren geantwortet. Licht, Luft und Freiraum und eine Trennung von Arbeit, Wohnen und Verkehr sind die Antwort auf diese Zustände. Der Verbreitung von Kunst heraus aus den Schlössern des Adels folgen die zuerst bürgerlichen und dann staatlichen Architekturen der großen Theater und Opernhäuser, der Varietés und Museumsbauten, die das Stadtbild bis heute prägen.
Wir haben also gelernt, dass sich unser Leben und die Handlungen der Gesellschaft im Laufe der Zeit – also was man auch Geschichte nennt – im Gebauten der Architektur verwirklicht – also im Bild der Stadt. Architektur ist deshalb die Folge städtischer Erneuerung, welche aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen “passiert”. Logisch also, dass sich in ihr soziale und kulturelle, wirtschaftliche und politische Befindlichkeit der Handlungen abbilden und ausdrücken.
Die neue Stadt
Am Beginn des 21.Jhdts scheint diese 1000-jährige Geschichte der europäischen Stadt möglicherweise wieder einmal in eine neue Ära zu kommen. Man denke an die grossen Gebiete der Suburbanisierung und Agglomerationen um die Städte. Oder an die Urbantainmentcenters und Siedlungen des New Urbanism. Ist das eigentlich noch eine Stadt? Oder sind musealisierte und international filialisierte Altstadtkerne eigentlich noch städtisch? Ich meine jene Stadtkerne wie in Amsterdam oder Florenz, in denen zwar niemand mehr lebt, man weder Milch noch Brot kaufen kann, dafür aber tausende Sportschuhe aller Marken! Müssen wir uns also daran gewöhnen, dass “Stadt” als gebaute Form und “Urbanität” als Lebensform nicht mehr zwangsweise einhergehen und unsere angelernte Lesart von Stadt nicht mehr funktioniert? Das würde bedeuten, dass Architektur und somit das Bild der Stadt nicht mehr als logische Folge von Urbanität als Lebensform entstehen. Es kommt vielmehr immer öfters vor, dass Architektur ein “entworfenes” Bild der Stadt generiert und fortan als Motor wirken soll. Bei den internationalen Kulturbauten zB ist das besonders augenscheinlich, sind sie doch allesamt entsprechend situiert, bieten “all incl. urbanity”. Vor allem Identität und Wirkung auf Menschen und Stadtgefüge werden bei diesem Vorgang quasi “erfunden” und versprochen. Sie werden als Investment in die Zukunft gehandelt und politisch auch unter diesem Motto verkauft.
Die Frage ist also einerseits, wie Architektur in der Stadt heute und in Zukunft entsteht, welche Qualitäten Architektur bietet und wie sie jetzt und in Zukunft im Kontext der Stadt benutzt werden kann. Auf der anderen Seite geht es um den Zusammenhang dieser Architektur mit der Vielfalt städtischen Lebens, also ob und welche Form von Urbanität und welche Bilder von Stadt dadurch entstehen. Oder kurz gesagt, als
CONCLUSIO: Wie wir den gebauten Raum mit Sinn erfüllen.
Beginnen wir chronologisch, nämlich mit der Geschichte einer Stadt:
Architektur und Stadt sind also nicht ohne Geschichte vorstellbar. Und ich persönlich bin der Meinung, dass sich Geschichte einer Region, einer Gesellschaft mehr in die alltäglichen Prozesse einschreibt als wir wahrhaben wollen oder uns das oft lieb ist. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen selbst weder als Kollektiv noch als Individuum besonders unterschiedlich sind, sondern grundsätzlich gleich. Wenn Raum- und Stadtplanung in Holland sehr bedeutend und in der Gesellschaft akzeptiert sind, so hat es wohl mit der Geschichte der Landgewinnung und dem Kampf gegen das Meer zu tun, einer sehr bewussten Auseinandersetzung mit Raum. Und wenn Raum- und Stadtplanung in und um Graz im Vergleich dazu keine Bedeutung und Praxis haben, so hat das wohl damit zu tun, das Grund und Boden ausreichend zur Verfügung steht, also eigentlich keinen Wert hat.
Im Falle von Graz befinden wir uns also geographisch ca. in der Mitte Europas, in Österreich. Und obwohl die Archäologie in Graz Funde seit der Steinzeit nachweist, beginnt die kontinuierliche Geschichte als Stadt erst um ca. 1000 n.Ch. Die Besiedlung wurde auf einem Dokument um 1091 als “Gradec” bezeichnet, das ist slawisch und heisst soviel wie
“kleine Burg”. Interessanterweise spricht die Geschichtsforschung von einem “Suburbium” welches sich um die Burg entwickelte, d.h. suburbane Entwicklungen sind nicht neu in Graz. Es folgt die Errichtung einer geschlossenen Stadtmauer nach 1200 und die Nennung als “Civitas” sodaß man spätestens seit diesem Zeitpunkt von einer “Stadt” im urbanistischen Sinne sprechen kann.
Graz ist also keine strategisch, politisch oder wirtschaftlich gegründete Stadt, sondern ist “entstanden”, gewachsen.
Mit der Entstehung des Herzogtums Steiermark wird Graz ab ca. 1180 zu Residenzstadt und Gerichtstandort. Man könnte sagen, die Funktion einer Landeshauptstadt, welche seither unverändert immer bestanden hat. Einmal war Graz auch Residenz des römischen Kaisers deutscher Nation und einmal Residenz der Länder “Innerösterreichs” bis nach Triest, Istrien und Dalmatien. Diese Zeit der Renaissance hat italienische Architekten und Baumeister nach Graz geführt, welche wesentliche Repräsentationsbauten in der Altstadt hinterlassen haben. Diese Zeit ist auch die Phase von protestantischer Reformation und katholischer Gegenreformation und hat nicht nur zur Gründung der Universitäten geführt sondern natürlich auch zu einem erheblichen Repräsentationsbedarf der jeweils vorherrschenden Schichten.
Schlussendlich liegt Graz im späten 19. Jhdt an der wichtigen Südbahn des Vielvölkerstaates Österreich. Dieses grosse Bahnbauwerk der Industrialisierung verbindet den Haupthafen in Triest mit der Hauptstadt Wien und macht Graz nicht nur bestens erreichbar sondern zur grössten Stadt der Donaumonarchie in Richtung der Länder am Balkan. Viele Studenten vom Balkan studierten damals in Graz. Gründerzeitliche Stadtwohnviertel, ein Opernhaus oder die Gestaltung von Schloßberg und Stadtpark als Landschaftspark sind Zeugen dieser Zeit bis 1918, welche immer noch das Stadtbild prägen.
Verfolgt man also diese fast 1000 Jahre auf dem Stadtplan, so bleibt diese Entwicklung sichtbar. Der Hügel und der Bereich der ersten Ansiedlungen, der Bereich der Stadtmauer, die wesentlichen naturräumlichen und topographischen Markierungen wie zb Bachverläufe, welche über Jahrhunderte die Funktion prägen und heute noch die Hauptrouten darstellen. Die grosse Gründerzeit, welche geplante Strukturen und Solitäre geschaffen hat, aber auch abrupt abgebrochen und seither nicht fortgeführt wurde. Die Merkmale der typischen Entwicklung von Graz, das Zentrum um die Burg, eine Vorstadt und weitere Umlandgemeinden sind seit 900 Jahren in Bewegung, bleiben aber wie eine DNA immer eingeschrieben und erhalten.
Nach der historischen Phase ab 1918, in der Zwischenkriegszeit und in der Zeit des Wirtschaftswunders findet sich Graz im Kleinstaat des heutigen Österreich wieder. Und Graz fand sich ausserdem in einer Randlage wieder, nämlich an der Grenze zu den Nachbarstaaten im Südosten Europas. Mit dem Auto heute nur 30min entfernt, waren Ungarn hinter einem eisernen Vorhang und das blockfreie kommunistische Yugoslawien bis 1989 in weite Ferne gerückt. Es fehlten Entwicklungsdruck oder andere Anlässe, die grosse Veränderungen einleiten oder gar erzwungen hätten. Entwicklung folgte im wesentlichen der inneren gesellschaftlichen Veränderung von Bevölkerungsgruppen und ihrer Situation innerhalb der Stadt. Diese “Nicht”-Entwicklung führt zb zu einem weitgehenden Fehlen der Moderne in Graz, sowohl städtebaulich wie auch architektonisch. Natürlich finden sich auch in Graz Fragmente wie einzelne hohe Häuser der 50er-Jahre, einzelne modernistische Siedlungen oder die eine oder andere Strassenunterführung. Jedoch brachte diese Zeit in der Randlage, diese Zeit der Langsamkeit, keinerlei Realisierungen von modernistischen Konzepten in grossem Stil.
Graz ist also keine strategisch, politisch oder wirtschaftlich gegründete Stadt, sondern ist “entstanden”, gewachsen.
Mit der Entstehung des Herzogtums Steiermark wird Graz ab ca. 1180 zu Residenzstadt und Gerichtstandort. Man könnte sagen, die Funktion einer Landeshauptstadt, welche seither unverändert immer bestanden hat. Einmal war Graz auch Residenz des römischen Kaisers deutscher Nation und einmal Residenz der Länder “Innerösterreichs” bis nach Triest, Istrien und Dalmatien. Diese Zeit der Renaissance hat italienische Architekten und Baumeister nach Graz geführt, welche wesentliche Repräsentationsbauten in der Altstadt hinterlassen haben. Diese Zeit ist auch die Phase von protestantischer Reformation und katholischer Gegenreformation und hat nicht nur zur Gründung der Universitäten geführt sondern natürlich auch zu einem erheblichen Repräsentationsbedarf der jeweils vorherrschenden Schichten.
Schlussendlich liegt Graz im späten 19. Jhdt an der wichtigen Südbahn des Vielvölkerstaates Österreich. Dieses grosse Bahnbauwerk der Industrialisierung verbindet den Haupthafen in Triest mit der Hauptstadt Wien und macht Graz nicht nur bestens erreichbar sondern zur grössten Stadt der Donaumonarchie in Richtung der Länder am Balkan. Viele Studenten vom Balkan studierten damals in Graz. Gründerzeitliche Stadtwohnviertel, ein Opernhaus oder die Gestaltung von Schloßberg und Stadtpark als Landschaftspark sind Zeugen dieser Zeit bis 1918, welche immer noch das Stadtbild prägen.
Verfolgt man also diese fast 1000 Jahre auf dem Stadtplan, so bleibt diese Entwicklung sichtbar. Der Hügel und der Bereich der ersten Ansiedlungen, der Bereich der Stadtmauer, die wesentlichen naturräumlichen und topographischen Markierungen wie zb Bachverläufe, welche über Jahrhunderte die Funktion prägen und heute noch die Hauptrouten darstellen. Die grosse Gründerzeit, welche geplante Strukturen und Solitäre geschaffen hat, aber auch abrupt abgebrochen und seither nicht fortgeführt wurde. Die Merkmale der typischen Entwicklung von Graz, das Zentrum um die Burg, eine Vorstadt und weitere Umlandgemeinden sind seit 900 Jahren in Bewegung, bleiben aber wie eine DNA immer eingeschrieben und erhalten.
Nach der historischen Phase ab 1918, in der Zwischenkriegszeit und in der Zeit des Wirtschaftswunders findet sich Graz im Kleinstaat des heutigen Österreich wieder. Und Graz fand sich ausserdem in einer Randlage wieder, nämlich an der Grenze zu den Nachbarstaaten im Südosten Europas. Mit dem Auto heute nur 30min entfernt, waren Ungarn hinter einem eisernen Vorhang und das blockfreie kommunistische Yugoslawien bis 1989 in weite Ferne gerückt. Es fehlten Entwicklungsdruck oder andere Anlässe, die grosse Veränderungen einleiten oder gar erzwungen hätten. Entwicklung folgte im wesentlichen der inneren gesellschaftlichen Veränderung von Bevölkerungsgruppen und ihrer Situation innerhalb der Stadt. Diese “Nicht”-Entwicklung führt zb zu einem weitgehenden Fehlen der Moderne in Graz, sowohl städtebaulich wie auch architektonisch. Natürlich finden sich auch in Graz Fragmente wie einzelne hohe Häuser der 50er-Jahre, einzelne modernistische Siedlungen oder die eine oder andere Strassenunterführung. Jedoch brachte diese Zeit in der Randlage, diese Zeit der Langsamkeit, keinerlei Realisierungen von modernistischen Konzepten in grossem Stil.
In diesem Sinn bin ich der festen Überzeugung, das Stadt nicht nur ein Abbild der Geschichte und der gesellschaftlichen Handlungen ist. Auch umgekehrt denke ich, dass die gesellschaftlichen Handlungen in einem weit grösseren Maße von einem historischen Kontext beeinflusst sind, als wir uns das vorstellen können.
Für die Architektur einer Stadt bedeutet dies also, dass sie nicht nur als Folge der Gesellschaft und ihrer Funktionen entsteht. Vielmehr ist auch der Umgang der Gesellschaft mit Architektur durch die Geschichte geprägt. Grosse Eingriffe in eine Stadt, wie das Planen und Neuerrichten von ganzen Vierteln und somit der strategische Umgang mit Architektur sind in jenen Städten noch heute möglich, wo dies schon einmal passiert ist. Der Antrieb kann verschieden sein: man denke an Katastrophenereignisse wie in Barcelona, an Hauptstadtbedürfnisse wie in Paris oder Wien oder an die kommunistischen Ideen einer neuen Gesellschaftsgründung. In all diesen Regionen bestehen heute noch grosse Traditionen und die Planungsstrukturen, um strategische Stadtentwicklung zu betreiben. Dort wo dies nie stattgefunden hat, fehlt auch das Verständnis und der Wille dazu.
Nach der historischen Herleitung von Stadt zu einer weiteren, ganz wichtigen Wirksamkeit von Stadt, nämlich: “Lokalität”
Mit “Lokalität” meine ich nicht das Umfeld im örtlichen Sinn sondern die lokal herrschenden Verhältnisse. Sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Verhältnisse, Traditionen und Entscheidungsmuster, welche alle gesellschaftlichen Prozesse bedingen. Wenn also die Geschichte der wirksame Hintergrund für städtische Entwicklung ist, dann ist die Lokalität die ganz konkrete Voraussetzung dafür. Mögen auch Auswirkungen und Mechanismen global sein, mögen sie international scheinbar vergleichbar sein und ähnliche Ergebnisse produzieren. Die Ergebnisse, Erscheinungen, Mechanismen kommen jedoch unter lokalen Verhältnissen zustande, werden von diesen letztendlich geformt. Wenn man also über Architektur als Teil von Stadtentwicklung spricht, gilt dies besonders.
Zum Verständnis, anhand von Graz heisst das beispielsweise:
Die Rolle als Hauptstadt Graz ist Landeshauptstadt mit Sitz der Landesregierung und den entsprechenden Verwaltungseinrichtungen. Hauptstadt zu sein ist eine zentralörtliche Funktion, die einen internationalen Austausch in die Stadt bringt, oder auch Austausch mit der Bundespolitik und somit der Hauptstadt Wien in Permanenz bedingt. Dies spiegelt sich nicht nur in der Architektur wieder, als Bedarf an Repräsentations- und Verwaltungsgebäuden. Zb eine gewisse Medienlandschaft samt regionalen Redaktionen nationaler Medien ist natürlich auch die Folge dieser Funktion.
Oder: Die Rolle der Wirtschaft Die Wirtschaft in Graz wird von einem Mix aus Dienstleistung, Handel und Industrie getragen, sodaß es keinen alleinbestimmenden Schwerpunkt gibt. Dies hat die bekannten Vor- und Nachteile, zB von grossen Blütezeiten einzelner Industriezweige wie der Stahl- oder Textilindustrie ebensowenig zu profitieren wie man in Zeiten des Niedergangs davon betroffen ist. Der vorhandene Mix an Unternehmen ist ausserdem oft regional verankert. Wenn auch viele dieser Unternehmen international tätig, so fehlen doch weitgehend internationale Konzerne im grossen Stil. Das heisst die Strukturen sind vielfach noch in Familienbesitz. Dies kann für das Leben einer Stadt grosse Qualitäten aufweisen, da hier sozusagen “Local Heros” entstehen können: als Mäzene für die Kunst, als anspruchsvolle Investoren für Handel in der Innenstadt oder als Meinungsbildner für notwendige Projekte oder Erneuerungen usw. Die Kenntnis und Verbundenheit mit der eigenen Heimat und die Weitsicht durch das globale wirtschaftliche Agieren zeichnen diese Menschen aus und stellen für eine Stadt ein grosses wertvolles Potential dar.
Oder: Die Rolle der Universitäten Die Tradition von Graz als Universitätsstandort bestimmt nach wie vor sehr stark das Leben der Stadt. An den Grazer Universitäten und Fachhochschulen kann man fast alle in Österreich angebotenen Studien inskripieren. Hier ist bemerkenswert, dass die Unis nicht nur geistiges Know-How bieten. Eine besondere Qualität ist die Rolle als Publikum. Es ist vielen sicher nicht bewusst, dass ca. 35.000 Studentinnen eine besondere Lebensstilgruppe darstellen, deren Interessen und Zeitbudget für Kultur, Freizeit und Sport sehr ausgeprägt sind. Das Grazer Kunst- und Kulturleben wäre ohne dieses Publikum nicht vorstellbar.
Oder: Die Rolle der Kultur und Architektur Nach 1968 ist aus Widerstand nicht nur gegen Verhältnisse der Gesellschaft sondern auch gegen die Randlage im Südosten eine interessante Entwicklung entstanden. So gibt es ein relevantes internationales Kunstfestival “steirischer herbst” seither. Auch die Idee eines “Trigon-Museums” als Ort der Kunst im Raume der angrenzenden Länder entstand schon damals, sodass es schon zwei Planungen für ein Kunsthaus in den 80ern und den 90ern gab, bevor das jetzige Kunsthaus als dritte Planung im Zuge der Kulturhauptstadt realisiert wurde. Dies ist deswegen ganz wesentlich, weil also kulturelle Maßnahmen und Infrastruktur aus bestehenden Aktivitäten generiert werden. Letztendlich gilt das ebenso für das Event der Kulturhauptstadt, welche ursprünglich nicht eine Idee eines Standortmarketings war, sodnern Ausdruck für die vielen heimischen Aktivitäten, welchen man ein Schaufenster oder eine Bühne bieten wollte. Die Architekturentwicklung kann man durchaus parallel sehen. Auch hier entstand in den 60ern ein Humus oder Umfeld, welches die jetzige bekannte Situation in der Architektur begründete. Personen, die zwar von der Universität kamen, aber frei von deren Struktur gesellschaftsrelevante Statements in die Öffentlichkeit brachten, waren stark mit der Kunstszene verwoben. Über den politischen Aufbruch der 70er-Jahre kam diese Entwicklung in den 80er-90er-Jahren zu Hochblüte.
ABER: Seit Mitte der 90er-Jahre und spätestens im neuen Jahrtausend sind diese Mechanismen radikal im Umbruch. Durch Veränderungen der Globalisierung und der Wohlfahrtsstaaten sind viele der alten Mechanismen nicht mehr praktikabel. Auch in Österreich, der Steiermark und in Graz selbst sind politische Mehrheiten nicht mehr kontinuierlich sondern im Wechsel und werden Bereiche wie Wohnen und Bauen zunehmend in privatwirtschaftliche Abläufe verlagert. Dies betrifft alle beteiligten Gruppen wie Politik, Verwaltung, Architekten, Investoren, Wohnungsgenossenschaften usw., welche sich nicht nur neu orientieren müssen. Insbesondere müssen sich die Gruppen auch neu organisieren also die gegenseitigen Abläufe verändern und neu lernen. Politiker, Beamte, Investoren, Architekten, Rechtsanwälte bis zu Bürgern und Anrainern sind zugleich Betroffene und Mitwirkende.
Was prägt also heute „Lokalität“, was oder wer generiert die Stadt heute?
100% Stadt überall
Nachdem nationalstaatliche Prioritäten und Steuerungen, wie sie in den 70ern noch Wachstum und Wohlstand versprachen, mehr und mehr verschwinden, sehen wir uns und somit Städte mehr und mehr mit internationalen und globalen Einflüssen konfrontiert. Ein Effekt ist, dass Städte nicht mehr jene Voraussetzungen haben, die sie “unersetzbar” machen, weder infrastrukturell noch produktiv oder personell. Wir müssen mittlerweile anerkennen, wie schnell ganze Industriestandorte ihre Position wechseln können, von einer Region in die nächste, von einem Land in das nächste, von einem Kontinent in den nächsten. Aber das heisst natürlich vice versa ganz grundsätzlich, dass nicht nur Absiedlung sondern auch Ansiedlung möglich ist. Von Menschen, Unternehmen, Kulturen, Infrastrukturen. Die Mobilität steigt. Und während weltweit und national grossräumige Konzentrationen stattfinden, man denke an das rasante Anwachsen der urbanen Agglomerationen rund um die Städte, so finden regional immer stärkere Dezentralisierungen statt, man denke an die Suburbanisierung und den sprawl um die Kernstädte. Die heutige Stadt ist also ein Organisationsfeld, in dem unberechenbare Kräfte wirken, nicht nur der Wirtschaft sondern genauso der Identitätsbildung. Während unsere Erinnerungen auf ein klassisches Gesellschaftsbild ausgerichtet sind, ist das wirkliche Leben des Einzelnen längst ganz anders. Klar ist, das diese Lebensweisen andere Bedürfnisse des Wohnens, des Arbeitens und somit der Stadtbenutzung erfordern werden. Klar ist, dass diese Form der Stadt jeder einheitlichen Darstellung widerspricht. EIN Bild der Stadt existiert also nicht mehr, wie die Realität entgegen aller Bemühungen der Stadtplaner und Stadtliebhaber beweist. Weder die “Kompakte Stadt” oder die geschützte musealisierte Stadt oder die Stadt von Plattenbauten ist eindeutig mehrheitsfähig, die Stadt der Einfamilienhäuser ist es genausowenig. Für die Architektur bedeutet dies Krise und Chance: Denn zwar gibt es das eine Bild nicht mehr, das wir kennen und lieben, aber es bleiben natürlich die Sehnsüchte nach dem Überschaubaren, dem Ursprünglichen und dem Authentischen genauso wie nach Erfüllung unserer Ansprüche an technische Ausstattung und Qualität, sprich dem alltäglichen Leben.
Identität – Stadt als Lebensform
Es ist also zu erkennen, dass es bei der Architektur der Stadt nicht nur um funktionale Erfordernisse geht. Wenn auch Identität ein schwer fassbarer Begriff ist, ist er doch in aller Munde. Ein ständiges Versprechen kursiert in Städten: Egal ob nach dem Neuen, dem Sensationellen oder auch dem Alten, dem zu Schützenden und heimeligen. Die Wahrzeichen sind die einfachste Form dieses Mechanismus:
Als Gebäude mag der Uhrturm in Graz wenig bedeutsam sein, für einen Fremden überhaupt nur eine kleine Anekdote. Für die Stadt selbst und also viele Menschen in ihr hat er die gleich bedeutende Funktion und Wirkung wie der Eiffelturm in Paris. Ein Phänomen, das rational schwer erklärbar ist, angesichts dieses schrulligen Türmchens mit verkehrten Uhrzeigern. Es gibt aber auch komplexere Formen, warum eine Stadt für Kids zum Leben cool ist, für internationale Künstler reizvoll oder für alleinerziehende Arbeitnehmer lebenswert. Für die Stadt ist die Beziehung ihrer Menschen über Identifikation mit etwas ein wichtiger Standortfaktor, der oft mit Architektur in Verbindung steht. Wenn über den BilbaoEffekt gesprochen wird, so wird dies mit Tourismuszahlen erklärt – oder zu erklären versucht, genauso in Graz, was zum Scheitern verurteilt ist. Rechnet man die Mehreinnahmen durch gestiegene Tourismuszahlen gegen die Investitionen einer Kulturhauptstadt und ihrer Kulturbauten auf, amortisiert sich dies erst am Nimmerleinstag. Andere Effekte bleiben dafür unbeachtet: So nimmt das Kunsthaus in Graz immer mehr eine Wahrzeichenfunktion ein, sodaß Intendant Peter Pakesch darauf in China angesprochen wird. Das heisst für die Architektur die Chance aber auch Verpflichtung, Auseinandersetzung für die “eigenen” Stadtbewohner bieten zu können, um in der Krise der Repräsentation nicht alten Bildern nachzuhängen sondern neue Angebote bieten zu können. Städtische Architektur hat sich also in erster Linie an die Stadt selbst und deren Bewohner, Benutzer zu richten und nicht vordergründig nach unerfüllbaren Touristenstromeffekten. Im Übrigen bin ich der Meinung, wenn das erstere funktioniert wird sich auch das zweitere einstellen. Auch in Venedig war es so.
Hyperkultur vs Alltagskultur einer Stadt
Das Frage nach dem Verhältnis zwischen Architektur und der Identifikation wirft einen wesentlichen Aspekt im heutigen städtischen Kontext auf, nämlich der Architekturen und der Programme oder Erwartungen, mit denen sie aufgeladen werden. Oder werden sollen. Denn die Öffentlichkeit spricht selten von der Architektur und der Aneignung durch die Bürger. Trotzdem gibt es in Europa kaum mehr eine Stadt, die nicht Kulturstadt (oder sogar Kulturhauptstadt) sein will und dies mit dem Bau des einen oder anderen mehr oder weniger spektakulären Architekturjuwels zu beweisen sucht. Damit einher geht das Versprechen internationaler Standortvorteile, ja ganzer Stadtentwicklung samt Unternehmensansiedlung, mit einem Wort: auf der globalen Landkarte der Städte markiert zu werden. Ich denke, dass dies ein gefährliches und nebenbei teures Spiel ist. Ich betone aber auch, dass hier Differenzierung angebracht ist, weil ich damit nicht meine, Städte sollten lieber inaktiv bleiben und Kulturbauten wären zu vermeiden. Im Gegenteil. Nur der Glaube, mit Architektur allein Städte grösser, bedeutender zu machen als sie sind, wird genauso wenig funktionieren, wie Einmaligkeit für eine ganze Stadt zu erzeugen, Einzigartigkeit auf Knopfdruck sozusagen. Und die mediale Versprechung wird auch nicht gehalten werden können, irgendwann ist der Reiz für die Medien vorbei - oder wann hat man das Guggenheimmuseum in Bilbao das letzte Mal in den Medien gesehen? Wenn man hingegen die Architekturen und deren Funktionen, Bedeutungen in einen längeren Zeitraum als Teil der Stadt begreifen will, wird man sie mit dem Leben der Stadt verweben müssen. Identität ist kein Ding, auch nicht, wenn sie als Architektur verkleidet wird. Ob Architektur angenommen, benutzt, geliebt wird, ist an soziale, politische, kulturelle Voraussetzungen und Befindlichkeiten gebunden, an Lokalität also. Nur dieser alltägliche Prozess in der jeweiligen Stadt selbst kann Identifikation mit Architektur herstellen.
Stadtplanung und Stadtentwicklung als Standortpolitik
Betrachtet man also diese Rahmenbedingungen für die Stadt heute, kann man folgende Schlüsse ziehen: Zweifellos ist eine neue Form der Standortkonkurrenz entstanden, sodaß Stadtpolitik auch Standortpolitik heisst. Dabei tritt aber das Problem auf, dass die wenigsten Städte die ökonomische und organisatorische Potenz haben, ihre Stadtentwicklung alleine und ideal zu lenken. Punktum: Stadtplanung durch Politik und Verwaltung hat an Macht und Einfluss verloren und tut dies weiterhin, gerade zu einer Zeit, als man Macht und Einfluss mehr als je zuvor benötigen würde. Die Stichworte die den Diskurs der Städte bestimmen, sind in Gewichtung und Erscheinung jeweils lokal:
- Wettlauf nach Investitionen und Betriebsansiedlungen
- Abwanderung von Arbeitsplätzen.
- Wachstum und Druck in der einen Region
- Schrumpfung oder keine Nachfrage in der anderen Stadt
- Aussterbende Kernstadt vs. lanschaftsfressender Speckgürtel
- Migration vs. Integration in einzelnen Stadtbezirken
- Usw. usf. etc. etc.
Faktum ist also, dass die Frage der Stadt als gewünschte Lebensform in Bewegung ist und sich über ihre Möglichkeiten und Angebote definiert. Das bietet auch Chancen gerade für Städte wie Graz, da Gross oder Klein, da oder dort allein nicht mehr so entscheidend sind. Es sind Chancen, künftiges interessantes städtisches Leben zu ermöglichen.
Was braucht es dazu?
1. als Grundlage nach wie vor eine generelle infrastrukturelle Ausstattung, wie funktionierenden Verkehr, IT-Verbindungen und die Ver- und Entsorgung, was gerne unterschätzt wird, gerade von ArchitektInnen. Diese sind jedenfalls weiterhin von den Städten zu gewährleisten, aber durchaus auch an neue Anforderungen anzupassen, man denke zB an die Problematik des Verkehrs zwischen den Kernstädten und dem Umland.
2. die Ausbreitungsmöglichkeit einer urbanen Serviceindustrie, wie das von der Stadtsoziologie heute bezeichnet wird. Das bedeutet von der Verfügbarkeit kreativer Dienstleister über Hochschulabsolventen und Facharbeiter bis zum Support für den urbanen Single, sprich Pizzazustellung. Das mag banal klingen, ist aber eine wesentliche Grundlage der Zukunft und nicht in allen Städten, wie etwa in Osteuropa, selbstverständlich. Nach dem Wegfall der Industrie als primären Produktionsfaktor der Stadt und der zunehmenden Abwanderung des Handels in Umland oder Internet werden produktive Dienstleistungen am stärksten an Städte gebunden sein. Das zeigt auch die Praxis, dass sich Headquarters oder Forschungseinrichtungen keineswegs ins billige Niemandsland zurückziehen, sondern für ihr wertvollstes Gut, nämlich die Mitarbeiter angemessene Lebensumfelder suchen.
Und 3. braucht es für diese Ausbreitung der Serviceindustrie und folgend ihrer Lebensstile eine bestmögliche Raumstruktur: Nämlich Architekturen + Freiräume! Aber nicht „irgendwelche“ davon sondern verfügbare, leistbare, gestaltbare, ansprechende Architekturen und Freiräume. Denn Last but not least sind es Menschen, die sich mit einer Stadt und ihren Architekturen identifizieren müssen. Es schliesst sich der Kreis, dass auch die emotionalen Eigenschaften einer Stadt, die Stimmungen und Lebensgefühle attraktiv sein müssen. Es muss in der Stadt, in den Architekturen, in den Freiräumen etwas faszinierendes passieren können. Und eine Stadt fasziniert, wenn die Kultur in ihr wirklich lebt und verankert ist, sich aber auch erneuert und neues produziert.
Abschliessend oder zurückkommend zur Frage nach der Stadtarchitektur würde ich folgendes Potential oder gar Postulat in den Raum stellen:
Städtische Architektur als permanenter Stadtumbau ist eine treibende Kraft!
Warum?
Architektur ist eine immanent öffentliche Angelegenheit. Egal ob öffentlich oder privat, muss sich Architektur in die Stadt fügen, sich durchsetzen, sich erklären. Stadtentwicklung konkretisiert sich immer in Architektur, egal ob als Platz, als Verkehrsbauwerk, als Museum oder Dachausbau. Architektur wird immer in die Bedeutungszusammenhänge einer Stadt gesetzt: Im Sinne mehr Attraktivität, Identifikation, Innovation, mehr Dichte, mehr Wohnen usw. Das heisst, es besteht die Möglichkeit für eine Stadt, über Architekturprojekte wesentlich ihre Entwicklung zu steuern (oder NICHT zu steuern). Denn: Bei der Umsetzung städtischer Architektur werden alle relevanten Themen der Stadtentwicklung berührt. Ob bei der Frage nach dem richtigen Wohnangebot für die Zukunft, der Frage von attraktivem Handel in historischen Weltkulturerbe oder dessen Musealisierung oder der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Und Architektur hat sichtbare Vorbildwirkung: durch ihr Bestehen und Funktionieren selbst kann sie künftige Bauherren motivieren in diese oder jene Richtung zu gehen, Bewohner anzuziehen oder abzustossen. Das heisst, Architektur als permanenter Stadtumbau ermöglicht Stadtentwicklung und Stadtplanung abseits grosser direktiver Planungen, welche oftmals nicht mehr durchsetzbar sind.
Mit Architektur, nämlich als permanentes Bauen von Stadt wie es jeden Tag passiert, können die handelnden Personen einer Stadt jederzeit an der Entwicklung der Stadt arbeiten und ihre Vorstellungen dokumentieren.
UND: Wir alle, als Bewohner, Bürger oder ArchitektInnen werden damit unsere Vorstellung von Stadt als Lebensraum hinterlassen und so unser Erbe dem Bild der Stadt hinzufügen.
Europäische Stadtentwicklung anhand des Beispiels Graz, ehemals Kulturhauptstadt 2003 Arch. DI Harald Saiko / 20.10.2009