Über Stadt

Project. Symposium in Tilburg / NL
Theme. On the urban developments in Graz
Meeting. 2006

“on the urban developments in Graz”

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Vertreter
der Stadt Tilburg und Herr Bürgermeister!

Vorweg recht herzlichen Dank für die Einladung nach Tilburg, welcher ich natürlich gerne
gefolgt bin, zumal ich die niederländische Architektur sehr schätze, seit meiner Studienzeit verfolgt und mehrmals besucht habe. Sehr dankbar bin ich auch über das anspruchsvolle weil komplexe Thema sprechen zu dürfen, welches sich von der sonst etwas bildlastigen Architekturpräsentation abhebt. Ich hoffe, dass ich hier mit meiner persönlichen Sicht der Dinge etwas zur Vertiefung dieses ganzheitlichen Themas beitragen kann und dies für Sie von Interesse ist.

Als Einstieg möchte ich mich vorstellen, und dies NICHT um neben den allseits bekannten und prominenten Vor- und Nachrednern auf mich aufmerksam zu machen, sondern vor allem damit sie meine ganz persönliche und subjektive Sicht der Dinge einordnen und bewerten können, aber auch um einen Vergleich bieten zu können, wie bei uns die professionelle Praxis aussieht.

Ich habe nicht nur in Graz Architektur studiert, sondern bin dort auch 1967 geboren und
aufgewachsen, meine gesamte Schulzeit verbracht. Das Studium in Graz war sehr frei, weil die Hochschule traditionell keine sehr bestimmende Rolle spielt. Wir haben vor allem Praxis durch Wettbewerbsteilnehmen und Büroarbeit gesammelt und das schöne Leben genossen also Lebenserfahrung gesammelt, was durchschnittliche Studienzeiten zwischen 8-10 Jahren ergab. Auf der Uni hat man die Pflichtfächer möglichst schnell absolviert und freie Projekte gemacht, wie zB einen Workshop von Peter Cook, auch wenn er sich nicht mehr erinnern wird können. Letztendlich habe ich dann 1996 bei Günter Domenig diplomiert. Seit meinem Studienbeginn 1987 habe ich also kontinuierlich in diversen Architekturbüros praktiziert und kenne daher seit fast 20 Jahren die (Grazer!) Planungsszene. Außer einem Jahr des Lebens und Arbeitens in Paris, welches mein Verständnis von Urbanität wesentlich erweitert hat und zahlreichen Studienreisen von Barcelona bis Tokyo ist mein Lebensmittelpunkt in Graz. Das heißt, meine Sicht ist nicht nur die Sicht eines Experten sondern auch als Kind und Jugendlicher, als Student und Kulturschaffender, als partizipierender Bürger und Bewohner – kurz also als Zeitzeuge der Stadt Graz und ihrer alltäglichen Veränderungen seit den 70ern.

Als Architekt habe ich mich 1999 gleich nach der 3-jährigen Pflichtpraxis selbständig
gemacht und ein Office for Architecture / Urbanisme / Cultural Affairs gegründet. Mit durchschnittlich ca. 5 Mitarbeitern ist unser Arbeitsschwerpunkt in und um Graz sowie seit ca. 2004 auch in Wien, also fast ausschließlich im städtischen Kontext. Dabei verfolgen wir einen bewusst ganzheitlichen Ansatz und verstehen Architektur nicht als “bildende Kunst” und den Architekten nicht als Autorität oder “Meister”, wie es in Graz starke Tradition hat. Wir versuchen als Generalist unter Spezialisten Regie zu führen bzw. Prozesse im Dialog mit den Beteiligten zu steuern. Zum ganzheitlichen Selbstverständnis gehört für uns dabei auch, dass wir alle Aspekte, welche die Klienten und die Gesellschaft betreffen, integrieren wollen. Das heißt die kulturellen wie sozialen aber auch die ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen unter einen Hut bringen und mittels einem realisierbaren Projekt individuell darstellen und lösen. In der Praxis sieht das zB so aus, wenn ich einen ganz kurzen Überblick geben darf:

Zb in der Architektur:
Vom kleinen Maßstab, wie bei diesem “Haus mit Ausblick” welches als Zubau zu einem
60er-EF-Haus mehrere Generationen auf ein Grundstück bringt. Das Programm innen und außen wurde mit diesem einfachen Eingriff erneuert und vervielfältigt und letztendlich die Dichte verdoppelt. Dies sehen wir durchaus als Statement zum Urbanismus, nämlich zum Thema der Zukunft, wenn diese Suburbs der Einfamilienhäuser ein Erbe der Geschichte darstellen werden.
Oder am anderen Ende der Maßstabsscala und schon jetzt in einem Erbe der Geschichte. Nämlich ein Projekt mitten im Weltkulturerbe der Grazer Altstadt: Das ist unser Beitrag für den Ausbau eines großen traditionellen Kaufhauses des Fin-de-Siecle. Es wurde damals 1896 als völlig neuer Typ des städtischen Kaufhauses im mittelalterlichen Stadtkern neben dem Hauptplatz situiert. In Sichtweite des Kunsthauses gelegen aber in Fläche und Volumen noch wesentlich grösser, wurde hier ein internationaler Architektur-Wettbewerb mit 18 Teilnehmern geladen. Wir sind mit diesem Projekt bis in die Finalrunde zur persönlichen Präsentation gekommen, sowie auch Wiel Arets zb aus Holland und Nieto/Sobejano aus Spanien, welche diesen Wettbewerb gewonnen haben. Übrigens, am Rande: Das Projekt ist jetzt in die Mühlen der verschiedenen Interessen geraten, welche sich in den historischen Zentren der traditionellen europäischen Stadt tummeln, Stichwort Stadt als Weltkulturerbe-Museum vs. Stadt als Lebensraum und somit Handelsraum. Sie sehen, auch Graz hat ihr “Erbe der Geschichte” zu tragen.

Zb im Urbanismus:
Hier muß man vorausschicken, dass die Aufgaben in Österreich mit Holland keinesfalls
vergleichbar sind, und Masterpläne und Stadtplanungen nicht annähernd so umfassend
erstellt werden, Raum- und Stadtplanung weder diese Tradition noch Dringlichkeit haben.
Eigentlich sind sie überhaupt kein relevantes Thema, sondern nur die Parzelle und das
Objekt. Das heißt es gibt wenige Büros und noch weniger junge Büros, die sich mit Stadt über die Bebauung einer Parzelle hinaus beschäftigen. Wir sind da eine Ausnahme, wie auch die meisten unserer Projekte.
Im kleinen Maßstab sind das konzeptive Bebauungstudien, wenn besondere öffentliche
Interessen herrschen, also weniger Gestaltung als eher Interessensabgleich. Nachdem
kaum echter Entwicklungsdruck herrscht, geht es sehr oft um das Generieren von
Möglichkeiten und Potentialen, welche letztendlich für ein folgendes Architekturprojekt als
Motor dienen kann.
Im großen Maßstab ist dies ähnlich. So haben wir für einen eigentlich zentralen Stadtteil im Grazer Westen um den Bahnhof, welcher in den 90ern eine klassische Industriebrache wurde und danach lange Zeit zwischen privaten Investoren und der Stadt Graz um diese Areale gekämpft wurde. Letztendlich war dieses klassische Rollenspiel aber nicht konstruktiv sondern mündete 1999 in einen Konflikt der über die Medien ausgetragen wurde und mit völliger Blockade. Daraufhin habe ich eine neue Methode einer kooperativen aber zielorientierten Stadtteilentwicklung vorgeschlagen, welche einstimmig vom Stadtparlament akzeptiert wurde. In einem ppp gemeinsam mit dem Amt für Stadtentwicklung haben wir über 3 Jahre einen Entwicklungsprozess mit Masterplan auf der inhaltlichen Ebene geführt. Das heißt wir haben Interessen abgeglichen und strukturierte Bürgerbeteiligung durchgeführt, wesentliche Ankerprojekte zwischen den Gruppen außer Streit gestellt und die Realisierung vorbereitet, wie zB Unterführungslösungen, Änderungen im Flächenwidmungsplan oder für ausgewählte Bereiche Ideenwettbewerbe durchgeführt, welche dann auch in sehr konkrete Bebauungspläne gegossen wurden, wie zB um eine neue Fachhochschule, welche Schritt für Schritt realisiert wird. Natürlich ist ein Projekt dieser Größenordnung auch mit entsprechender Kommunikation zu begleiten, wie Sie es ja auch hier und heute zb machen, es ist meiner Meinung nach auch sehr erfolgreich oder das erfolgreichste Projekt der Stadtentwicklung in Graz seit den 80ern, weil sich der Grundkonsens der Ziele sowie die Grundsätze und Ideen für den Stadtteil fortgepflanzt haben und seither in öffentlichen wie privaten Projekten fortgeführt werden.

Zb in der Kultur, abschließend:
Diese Tätigkeiten entspringen den persönlichen Engagements im Kulturbereich, und wir
bieten diese Erfahrungen in Gestaltung und Organisation auch professionell an.
Das reicht von Ausstellungskonzeptionen, inhaltlich bis organisatorisch, zb hier eine
temporäre Ausstellung im öffentlichen Raum. Ein Architekturschwerpunkt beim
Kunstfestival “steirischer herbst”, wo wir einen Teil der Stadt mit wenig Identität ins
Bewusstsein gerückt haben. Es war die Hauptbrücke und ein anschließendes “Eisernes
Haus” am Übergang in die Vorstadt. Etwas später wurde dieser Ort für das jetzige
Kunsthaus gekauft. Kulturproduktion an der Basis der freien Szene.
Oder, um wieder den Bogen zu spannen in einen sehr großen Maßstab, berate ich als Mitglied eines Grazer Kulturbeirates den Stadtrat für Kultur. Dieses Beratungsgremium, das aus Vertretern aller wesentlichen großen wie kleinen Institutionen und Sparten der Kultur besteht, ist im Zuge einer Initiative zu einer längerfristigen Kulturentwicklung “nach” 2003
entstanden. Ich habe also auch Einblick in diese Prozesse zwischen Politik, Institutionen und Kulturschaffenden, welche Stadtentwicklung in einem weiteren Sinne stark prägen. 

Schließlich Forschen und Publizieren:
Als Grundlage und als “Futter” für diese Arbeiten und Aktivitäten führen wir permanente Untersuchungen und Forschungen durch, natürlich mit interessierten Partnern und Kollegen. Forschung zu Architektur und Wohnen sowie aktuelle Stadtentwicklung und ihre Methoden unter den globalen Einflüssen aber im lokalen Kontext. Ergebnisse zur herrschenden Realität also, welche wir dann auch regelmäßig selbst publizieren. Als Beispiel unter dem Arbeitstitel “Grazland” den Großraum Graz, welcher eine typische mitteleuropäische Mittelstadt darstellt, mit Tradition und Speckgürtel und den daraus folgenden Phänomenen. Hier verfolgen wir einerseits die realen Tendenzen, versuchen diese auch einfach anschaulich zu machen und entwickeln dann Ideen für lokal anwendbare Methoden der Stadtentwicklung. Natürlich lassen wir das auch in unsere Entwürfe einfließen, als Vorstellung von Urbanität in einer lokalen Architekturproduktion.
Dazu eben die Publikationen zum Thema Architektur und Stadt. ZB als eine Art persönliches Standardwerk zum Thema Stadt und Suburbanisierung, welches in unserer Gegend das Metathema der Zukunft sein wird, das Buch “100% Stadt” welches ich auch mit habe und sie gerne nachher ansehen und erwerben können.

Dabei ist klar, dass wir als Büro neben den Planungsaufgaben keine Wissenschaftlichkeit wie große Institutionen leisten können, aber demgegenüber haben wir den Vorteil der Kenntnis der aktuellen Praxis. Ich stehe hier auf dem Standpunkt wie etwa auch der Siemens-Chef Helmut Pierer kürzlich gesagt hat, dass wir in eine Phase in Europa kommen oder schon sind, wo isoliertes Wissen und Tun allein, mag es noch so integer und engagiert sein, für die Anforderungen der Gesellschaft nicht ausreicht. In einem Interview zur Zukunft in Europa sagte er, die Sparten der Politik, der Wirtschaft und der Experten müssen in eine viel engere Kooperation und Integration kommen als bisher. Wenn das auch für die einzelnen Sparten unangenehm sein mag, sich mit den jeweils anderen Realitäten und Wahrheiten auseinandersetzen zu müssen, werden alltagstaugliche Lösungen in Zukunft von der Integration dieser Machbarkeiten - politisch, wirtschaftlich und fachlich - abhängen.
Unter diesem Aspekt sehe auch ich meine Tätigkeiten für die Gesellschaft und unter diesem Motto möchte ich nun auch meinen Vortrag beginnen, über Architektur als treibende Kraft städtischer Erneuerung:

Architekturstadt oder Stadtarchitektur

Was hat Architektur mit Stadt zu tun?

Über Stadt zu sprechen, heißt prinzipiell immer auch über Architektur zu sprechen. Ist es doch die Summe der Architekturen, die für jeden leicht erkennbar eine Stadt darstellt. Auch für Menschen ohne besondere architektonische Bildung und Interesse reicht eine Ansichtskarte, um Venedig von Paris zu unterscheiden, eine anonyme Stadt eher im Süden oder im Norden zu vermuten, sie als historische zb mittelalterliche oder neue zb modernistische Stadt zu identifizieren. Die Bauweisen sprechen zu uns, geben Auskunft über Klima und Geographie, über Reichtum oder Armut, über die Einbettung in die Landschaft, über Dichte und Größe. Sie geben Auskunft über das, was davor war, damit
diese Städte in dieser oder jener Form entstanden sind. Das Bild der Stadt lässt uns aber auch das dahinter vermuten, nämlich wie es jetzt dort ist. Welche Menschen mit welcher Kultur, welche Politik und welche Wirtschaft alltäglich in einer Stadt agieren, ob die Stadt immer noch wohlhabend ist oder die gute alte Zeit eher vorbei ist. Das Bild einer Stadt gibt uns Auskunft über das Leben in ihr, also auch über die unsichtbaren Stadt, heute würde man sagen die Prozesse.

Diesen Zusammenhang zu erkennen, mit allen Vorurteilen und Irrtümern, heißt eine Stadt anhand ihres Bildes zu “lesen”. Das tun wir deswegen, weil wir gelernt haben, dass Architektur dem Leben mit seinen Anforderungen und Ansprüchen folgt. Wir als Europäer kennen natürlich unsere “europäische Stadt” am Besten: In der Mitte ein Platz wo sich die Stadtgesellschaft organisiert, der Markt, das Rathaus, die Kirche. Waren Städte bedroht, wurde eine Mauer herum gebaut; nachdem sich die Kriegsführung geändert hatte, folgte der Abbruch der Stadtmauern. Reiche Bürger bauten geschmückte Häuser, und statt der Stadtmauern legten sie Parks an. Die Erfindungen der Industrialisierung ermöglichten Fabriken für Massenproduktionen, der folgenden Landflucht wurde mit Arbeiter- und Massenquartieren geantwortet. Licht, Luft und Freiraum und eine Trennung von Arbeit, Wohnen und Verkehr sind die Antwort auf diese Zustände. Der Verbreitung von Kunst heraus aus den Schlössern des Adels folgen die zuerst bürgerlichen und dann staatlichen Architekturen der großen Theater und Opernhäuser, der Varietés und Kunstvereine, die das Stadtbild prägen.

Wir haben also gelernt, dass sich unser Leben und die Handlungen der Gesellschaft im
Laufe der Zeit – also Geschichte – im Gebauten der Architektur verwirklicht – also im Bild
der Stadt.
Architektur ist deshalb die Folge städtischer Erneuerung, welche aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen “passiert”. Logisch also, dass sich in ihr soziale und kulturelle, wirtschaftliche und politische Befindlichkeit der Handlungen abbilden und ausdrücken: Tradition und/oder Innovation, Funktion und/oder Repräsentation – Identitäten und/oder Integration, Vielfalt und Dichte.

Die neue Stadt

Am Beginn des 21.Jhdts scheint diese 1000-jährige Geschichte der europäischen Stadt möglicherweise wieder einmal in eine neue Ära zu kommen. Viele Unsicherheiten in unserer Gesellschaft kündigen es zumindest an: Sind die großen Gebiete der Suburbanisierung und sprawls noch “Stadt” oder nicht? Was ist das Bild der Stadt, wenn dieses heute künstlich erzeugt wird, auf Knopfdruck in Videoclips, mit Dekowänden in Shoppingmalls oder mit den Fertigteilen des New Urbanism? Sind musealisierte und international filialisierte Altstadtkerne “mehr” städtisch? Jene Stadtkerne, in denen niemand mehr lebt, man weder Milch noch Brot kaufen kann, dafür aber tausende Sportschuhe aller Marken? Müssen wir uns daran gewöhnen, dass “Stadt” als gebaute Form und “Urbanität” als städtische Lebensform nicht mehr zwangsweise einhergehen und unsere angelernte Lesart von Stadt nicht mehr funktioniert?


Und dass heute in Europa bereits über 70% aller Menschen in Städten bzw. städtischen Agglomeraten leben, macht die Sache nicht klarer. Im Gegenteil, denn es ist keineswegs eine lineare Fortsetzung der Wachstumserfahrung des 20. Jhdts., wie das Phänomen der Schrumpfung und Ausdünnung als eine Variation dieser Entwicklung beweist. Dass die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche - von der Erweiterung der EU über die Vergreisung Europas bis hin zur Globalisierung usw - die großen Motoren dieser Veränderungen sind, liegt auf der Hand. Aus den daraus resultierenden Veränderungen und Umbrüchen für sehr viele Städte und ganze Regionen folgt, dass Stadtentwicklung bzw. Stadtplanung automatisch immer auch zur Standortpolitik werden. Und Stadtentwicklung bzw. Stadtplanung werden auch immer stärker unter diesem Gesichtspunkt betrieben und das nicht nur in großen Städten.

Gut sichtbar und für jeden erkennbar wird dieses Phänomen durch das Bestreben, Stadtentwicklung mit Kultur bzw. kulturellen Bauten im weiteren Sinne voranzutreiben. Der spätestens seit Bilbao populäre Mechanismus, anhand der Aufladung von spektakulären Architekturen mit einer Art globalen Hyperkultur überregional, besser noch global, Aufmerksamkeit zu erreichen, fand ja auch in Graz seine lokale Ausprägung. Interessanterweise wird dieser durchaus aufwändige und langfristige, also kostspielige Vorgang von Medien und Politikern gerne als “Effekt” bezeichnet. (Wobei: für mich hat dieser “Effekt” schon konkrete Auswirkung, denn sonst würde ich vermutlich heute nicht hier sitzen.)jedenfalls zeugen in Graz nicht nur eine Reihe von neuen Kulturbauten samt einem Kunsthaus von dieser Standortpolitik, es wurde auch ein entsprechendes “Event” in Form einer europäischen Kulturhauptstadt 2003 ausgerichtet. Die unmittelbaren Auswirkungen dieses Großevents sind übrigens mittlerweile schon ganz gut bewertbar, ich werde darauf zurückkommen.

Das würde bedeuten, dass Architektur und somit das Bild der Stadt nicht mehr als logische Folge von Urbanität als Lebensform entstehen. Es wird vielmehr unterstellt, dass Architektur ein “entworfenes” Bild der Stadt generiert und fortan als Motor wirkt. Bei den angesprochenen Kulturbauten ist das besonders augenscheinlich, sind sie doch allesamt entsprechend situiert, bieten also “all incl. urbanity”. Vor allem die unsichtbaren Dinge, wie Identität und Wirkung auf Menschen und Stadtgefüge werden bei diesem Vorgang quasi “erfunden” und versprochen. Sie werden als Investment in die Zukunft gehandelt und politisch auch unter diesem Motto verkauft.

Die Frage ist also einerseits, wie Architektur in der Stadt heute und in Zukunft entsteht, welche Qualitäten Architektur bietet und wie sie jetzt und in Zukunft im Kontext der Stadt benutzt werden kann. Auf der anderen Seite geht es um den Zusammenhang dieser Architektur mit der Vielfalt städtischen Lebens, also ob und welche Form von Urbanität und welche Bilder von Stadt dadurch entstehen. Oder kurz gesagt, als

CONCLUSIO: Wie wir den gebauten Raum mit Sinn erfüllen.

Dieser Frage werde ich nun anhand einiger – aus meiner Sicht - wesentlicher Themen nachgehen und versuchen, diese Themen jeweils konkret an einem Beispiel darzustellen. Als Beispiel zur Darstellung nehme ich eine typische Mittelstadt in Mitteleuropa, also zB Graz in Österreich.

Die Einbettung

Geschichte

Architektur und Stadt sind also, wie erwähnt, als Ergebnis der Geschichte nicht ohne Geschichte vorstellbar. Und ich persönlich bin der Meinung, dass sich Geschichte einer Region, einer Gesellschaft mehr in die alltäglichen Prozesse einschreibt als wir wahrhaben wollen oder uns das oft lieb ist. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen selbst weder als Kollektiv noch als Individuum besonders unterschiedlich sind, sondern grundsätzlich gleich. Wenn aber Raum- und Stadtplanung in Holland traditionell sehr bedeutend und in der Gesellschaft akzeptiert sind, so hat es wohl mit der Geschichte der Landgewinnung und dem Kampf gegen das Meer zu tun, einer sehr bewussten Auseinandersetzung mit Raum. Wenn Und wenn Raum- und Stadtplanung im Südosten Europas im Vergleich dazu keine Bedeutung und Praxis haben, so hat das wohl damit zu tun, das Grund und Boden ausreichend zur Verfügung steht, also eigentlich keinen Wert hat. Und dass eine protestantische und seefahrende Gesellschaft in Westeuropa nicht die gleichen Lebensgewohnheiten entwickelt, wie eine katholische und bodenständige Gesellschaft im slawischen Raum Südosteuropas ist klar. Seriöserweise sollte man dies also immer mit bedenken, wenn man über den gebauten Rahmen und Zeugen der Geschichte, also Stadt spricht.
Deswegen - aber natürlich auch, damit Sie Graz etwas besser kennen- und Liebenlernen und vielleicht auch einmal zu Besuch kommen - möchte ich einen kurzen Überblick geben.

Im Falle von Graz befinden wir uns also geographisch ca. in der Mitte Europas, in Österreich. Und obwohl die Archäologie in Graz Funde seit der Steinzeit permanente Besiedlung nachweist, und Graz als Besiedlung an einer – unbedeutenden - römischen Handelsstraße vorhanden war, beginnt die kontinuierliche Geschichte als Stadt Graz erst um ca. 1000 n.Ch. Hier wird eine Besiedlung rund um eine Wehrburg auf einem Hügel genannt, also was zu dieser Zeit eine Stadt darstellte. Diese Besiedlung wurde auch auf einem Dokument um 1091 als “Gradec” gefunden, das ist slawisch und heißt soviel wie “kleine Burg”. Die Geschichtsforschung ist sich jedoch nicht einig, ob dies eine Gründung des slawischen Herzogtums Karantanien war, oder ein Außenposten des verbündeten Frankenreiches am äußersten südöstlichen Rand der christlichen mitteleuropäischen Länder, kirchlich geprägt von Salzburg aus. Eine “Unklarheit” an einer Schnittstelle, welche vielleicht bis heute nicht geklärt ist... Vor allem zwischen 1100-1200 gibt es eine erste Blüte dieser Stadt und werden repräsentativen Bauten im heutigen Stadtzentrum sowie Dokumente über Herrschaftsbesitz nachgewiesen. Interessanterweise spricht die Geschichtsforschung von einem “Suburbium” welches sich um die Burg entwickelte, d.h. suburbane Entwicklungen sind nicht neu in Graz. Es folgt die Errichtung einer geschlossenen Stadtmauer nach 1200 und die Nennung als “Civitas” sodaß man spätestens seit diesem Zeitpunkt von einer “Stadt” im urbanistischen Sinne sprechen kann. Graz ist also keine strategisch, politisch oder wirtschaftlich gegründete Stadt, sondern ist “entstanden”, gewachsen, man könnte sagen Graz hat sich von Beginn an entwickelt. Und diese Entwicklung beginnt in der Entstehungszeit der “europäischen Stadt” wie wir sie heute kennen und vielfach diskutieren, sodass wir von in Graz von der Geschichte einer typischen “europäischen Stadt” sprechen können.

Diese kontinuierliche 1000-jährige Entwicklung bzw. Geschichte birgt natürlich Zeit und Platz für einige Ereignisse, welche sich in der Stadtentwicklung ausgewirkt haben. Mit der Entstehung des Herzogtums Steiermark 1180 wird Graz zur Residenzstadt und Gerichtstandort. Man könnte sagen, die Funktion einer Landeshauptstadt, welche seither unverändert immer bestanden hat. Einmal ab 1440 war Graz auch Residenzstadt des römischen Kaisers deutscher Nation, nämlich unter Friedrich III und Zentrum des deutschen Reiches. Nach einer Teilung der habsburgischen Erbländer wurde Graz ab 1564 Residenz der Länder “Innerösterreichs” unter einem Erzherzog. Diese Blütephase vereinigte die österreichischen Länder Steiermark und Kärnten, die heute italienischen Gebiete von Görz und Triest sowie das heute slowenische Krain und heute kroatische Istrien und Dalmatien. Diese Zeit der Renaissance hat italienische Architekten und Baumeister nach Graz geführt, welche wesentliche Repräsentationsbauten in der Altstadt hinterlassen haben. Diese Zeit ist auch die Phase von protestantischer Reformation und katholischer Gegenreformation und hat nicht nur zur Gründung der Universitäten geführt
sondern natürlich auch zu einem erheblichen Repräsentationsbedarf der danach erstarkten Katholiken, welche dies in Form von Bauten im Barock ausgedrückt haben. Nach diesem Intermezzo der Spaltung Österreichs ist Graz und die Steiermark ab dem 17. Jhdt bis zum Fin-de-siecle naturgemäß von Aufstieg und Kontinuität des österreichischen Kaiserreiches bestimmt. Schlussendlich liegt Graz im späten 19. Jhdt an der wichtigen Südbahn dieses Vielvölkerstaates. Dieses große Bahnbauwerk der Industrialisierung verbindet den Haupthafen in Triest mit der Hauptstadt Wien und Graz ist nicht nur bestens erreichbar sondern die große österreichische Stadt in Richtung der Länder am Balkan. Viele Studenten aus Serbien, Montenegro und Kroatien studierten damals in Graz. Gründerzeitliche Stadtwohnviertel, ein Opernhaus oder die Gestaltung des Schloßberges und des Glacis zum Landschaftspark sind Zeugen dieser Zeit bis 1918, welche immer noch das Stadtbild prägen.
Verfolgt man diese 900 Jahre auf dem Stadtplan, so bleibt diese Entwicklung sichtbar. Der Hügel und der Bereich der ersten Ansiedlungen, der Bereich der Stadtmauer und der bäuerlichen und gewerblichen Vorstädte. Die wesentlichen naturräumlichen und topographischen Markierungen in der Stadt, wie zb Bachverläufe, welche über Jahrhunderte die Funktion prägen und heute noch die Hauptrouten darstellen. Die große Gründerzeit, welche geplante Strukturen und Solitäre geschaffen hat, aber auch abrupt abgebrochen und seither nicht fortgeführt wurde. Die Merkmale der typischen Entwicklung von Graz, das Zentrum um die Burg, eine Vorstadt und weitere Umlandgemeinden sind seit 900 Jahren in Bewegung, bleiben aber wie eine DNA immer eingeschrieben und erhalten. Die Wechselwirkungen bleiben prägend für das Gefüge, über Jahrhunderte hinweg.

Nach dieser historischen Phase, in der Zwischenkriegszeit und in der Zeit des Wirtschaftswunders findet sich Graz im Kleinstaat des heutigen Österreich wieder. Graz ist seither zwar die zweitgrößte Stadt, was aber in diesem Kleinstaat Österreich nichts bedeuten muss. Und Graz fand sich außerdem in einer Randlage wieder, nämlich an der wirtschaftlich mehr oder weniger toten Grenze zu den slawischen Nachbarstaaten im Südosten Europas. Mit dem Auto heute nur 30min entfernt, waren Ungarn hinter einem eisernen Vorhang und das blockfreie kommunistische Jugoslawien bis 1989 in weite Ferne gerückt.
Dementsprechend würde ich die Stadtentwicklung des 20. Jhdts in Graz darstellen: Einerseits war die Stadt aus der Geschichte bereits gut ausgestattet, man denke an Oper, Universitäten, Bahnanschluss usw. sowie wurden Stadtzentrum und Wohngebiete von Kriegsschäden weitgehend verschont. Andererseits blieb Graz in der altbekannten Rolle der Landeshauptstadt ohne neue große Aufgaben oder Veränderungen. Sehr wohl profitierte Graz vom wirtschaftlichen Aufschwung Westeuropas und Österreichs nach dem Krieg wie wir ihn kennen, aber durch die Randlage traditionell weit weiniger wie zB Westösterreich oder Wien als Metropole. Es fehlten also Entwicklungsdruck oder andere Anlässe, die große Veränderungen einleiten oder gar erzwungen hätten. Entwicklung folgte im wesentlichen der inneren gesellschaftlichen Veränderung von Bevölkerungsgruppen und ihrer Situation innerhalb der Stadt. Diese  Nicht”-Entwicklung führt zb zu einem weitgehenden Fehlen der Moderne in Graz, sowohl städtebaulich wie auch architektonisch. Natürlich finden sich auch in Graz Fragmente wie einzelne hohe Häuser der 50er-Jahre, einzelne modernistische Siedlungen oder die eine oder andere Straßenunterführung. Jedoch brachte diese Zeit in der Randlage, diese Zeit der Langsamkeit, keinerlei Realisierungen von modernistischen Konzepten in großem Stil, wie etwa die sozialen Wohnbauten des roten Wien oder der großen Siedlungskonzepte ebendort, wie sie auch in Holland weitverbreitet sind. Auch die autogerechte Stadt oder Neubau nach Abriss in innerstädtischen Arealen haben sich mangels Entwicklungsdruck
nie wirklich durchgesetzt, was sich heute in einigen Bereichen wie der Altstadt als Glücksfall herausgestellt hat. Diese konnte nämlich durch das Konzept “Platz für Menschen” aus den 80ern mittlerweile weitgehend autofrei gestaltet werden. Letztendlich stellt diese funktionale Grundlage auch eine Basis für die neu entstandenen Kulturbauten dar, welche somit eine entsprechende Einbettung im Stadtraum finden konnten.

In diesem Sinn bin ich der festen Überzeugung, das die Stadt nicht nur ein Abbild der Geschichte und der gesellschaftlichen Handlungen ist. Auch umgekehrt denke ich, dass die gesellschaftlichen Handlungen in einem weit größeren Maße von einem historischen Kontext beeinflusst sind, als wir uns das vorstellen können. Betrachtet man Graz, so zeigt sich dies in der Rolle am Rande zum Südosten wie vor 1000 Jahren und im 20. Jhdt oder auch als Zentrum im Südosten wie im Mittelalter und neuerlich seit der Entstehung der neuen Staaten am Balkan. Beide Situationen sind in die Geschichte eingeschrieben wie eine DNA und “funktionieren” daher gut. Waren die Beziehungen zu den Ländern im Südosten zur Zeit des Kommunismus zwar wirtschaftlich schwach, so waren sie doch vergleichsweise politisch entspannt und gut. Ein Wochenendausflug incl. Gulaschmenü zum ungarischen Plattensee oder der Sommerurlaub mit Fischmenü an der jugoslawischen Adriaküste war für uns Ostösterreicher schon obligatorisch, als man anderswo im Westen davor gewarnt hat, zu den Feinden des kalten Krieges zu reisen. Viceversa beweist das geradezu blitzartige und reibungslose Wiederentstehen eines neuen Wirtschaftsraumes zwischen Österreich, Ungarn, Slowenien, Kroatien usw. in den letzten Jahren die alten Verbindungen.

Für die Architektur einer Stadt bedeutet dies also, dass sie nicht nur als Folge der Gesellschaft und ihrer Funktionen entsteht. Vielmehr ist auch der Umgang der Gesellschaft mit Architektur durch die Geschichte geprägt. Große Eingriffe in eine Stadt, wie das Planen und Neuerrichten von ganzen Vierteln und somit der strategische Umgang mit Architektur sind in jenen Städten noch heute möglich, wo dies schon einmal passiert ist. Der Antrieb kann verschieden sein: man denke an Katastrophenereignisse wie in Barcelona, an Hauptstadtbedürfnisse wie in Paris oder auch Wien oder an den Druck des nicht verfügbaren Raumes in Holland. In all diesen Regionen bestehen heute noch große Traditionen und die nötigen Planungsstrukturen, um strategische Stadtentwicklung zu betreiben incl. der damit verbundenen Architekturproduktion. Nicht zu vergessen eine besondere personelle Konstellation, welche immer vorhanden sein muss, die Ziele formuliert, bündelt und auch das entsprechende Netzwerk zur Umsetzung findet. In einer Stadt wie Graz haben derartige Vorgänge keine Beispiele. In Graz haben das Benutzen der vorhandenen Architekturen der Stadt sowie der Ersatz und die Erweiterung dieses Bestandes Tradition. Entwicklung passierte immer durch Umformung oder Hinzufügung, dort wo es mit den vorhandenen Mitteln möglich war: punktuell nach innen, wie die Objekte der Repräsentation und großflächig nach außen, das “Suburbium” also.

Gegenwart

Wenn wir also das Verhalten einer Stadtgesellschaft im Zusammenhang mit ihrer gelebten und gelernten Geschichte als Handlungsrahmen sehen, so wird die Gegenwart nicht besonders überraschend sein. Wenn wir das anhand von Graz betrachten und die geschichtliche Einführung in Erinnerung behalten, kann man dieses Kapitel deswegen auch kurz halten. Die Einbettung der Situation wie wir sie jetzt vorfinden mit Österreich als einem sehr föderalistischer Staat. Das sind neun Bundesländern welche fast alle schon seit Jahrhunderten als Länder bestehen wie eben auch die Steiermark. Diese Bundesländer haben 9 Landeshauptstädte, wie eben zB Graz für die Steiermark, dh aber auch 9 Landesparlamente, aber auch 9 Baugesetze und 9 Raumordnungsgesetze. Dies gebe ich deswegen zu bedenken, weil das größte Bundesland Wien zwar 1,6 Mio EW hat, das kleinste Bundesland Burgenland jedoch nur 277.569 EW und sie sich vielleicht vorstellen können, was dies für eine nationale Raumplanung in einem so kleine Land bedeutet. Die Steiermark mit 1,2 Mio EW und die Landeshauptstadt Graz mit ca. 230.000 EW liegen im Südosten Österreichs, an der Schnittstelle einiger Länder als neuen alten Nachbarn. Von Italien mit Triest, Slowenien, Kroatien, über Serbien bis Bosnien-Herzegowina ist dies unsere alltägliche Umgebung, heute würde man sagen europäische Region. Von Graz sind es nach Wien 195 km und in die neuen europäischen Hauptstädte Ljubljana 201 km sowie Zagreb 198 km. Ans Meer fahren wir zB auf neuen Autobahnen in ca. 2,5h nach Piran oder in ca. 3,5h zur Biennale nach Venedig.
Wie geht es der Stadt Graz also in der Gegenwart? Dazu scheint es mir sinnvoll, eine Verbindung vom WAS, nämlich wie es jetzt ist, auch zum WIE, nämlich warum es so ist zu vollziehen, mit einem persönlichen Begriff:

“Lokalität”

Mit “Lokalität” meine ich nicht das Umfeld im örtlichen Sinn sondern die lokal herrschenden Verhältnisse. Sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Verhältnisse, Traditionen und Entscheidungsmuster, welche alle gesellschaftlichen Prozesse bedingen. Wenn also die Geschichte der wirksame Hintergrund für städtische Entwicklung ist, dann ist die Lokalität die ganz konkrete Voraussetzung dafür. Mögen auch Auswirkungen und Mechanismen global sein, mögen sie international scheinbar vergleichbar sein und ähnliche Ergebnisse produzieren. Die Ergebnisse, Erscheinungen, Mechanismen kommen jedoch unter lokalen Verhältnissen zustande, werden von diesen letztendlich geformt. Wenn man also über Architektur als Teil von Stadtentwicklung oder gar Motor von Stadterneuerung spricht, gilt dies besonders. Anhand von Graz dargestellt könnten Lokalitäten also wie folgt beschrieben werden:

Die Rolle als Hauptstadt
Graz ist also Landeshauptstadt mit Sitz der Landesregierung und den entsprechenden Verwaltungseinrichtungen. Letztendlich sind in der Landesverwaltung ca. XXX Mitarbeiter beschäftigt, vorwiegend in Graz. Hauptstadt zu sein ist außerdem eine zentralörtliche Funktion, die einen gewissen auch internationalen Austausch in die Stadt bringt, oder auch Austausch mit der Bundespolitik und somit der Hauptstadt Wien in Permanenz bedingt. Dies spiegelt sich nicht nur in der Architektur wieder, als Bedarf an Repräsentations- und Verwaltungsgebäuden. Zb eine gewisse Medienlandschaft samt regionalen Redaktionen nationaler Medien ist natürlich auch die Folge dieser Funktion.

Die Rolle der Wirtschaft
In Zahlen kann dieses Bild so dargestellt werden:
- Die Anteile der Wirtschaft in Graz (?)
- Das heißt in der Steiermark ist der urbane Zentralraum Graz natürlich führend, was
Einkommen und Lebensstandard betrifft, jedoch
- Im Vergleich zu Österreich zeigt sich natürlich immer noch die Benachteiligung gegenüber dem Westen und Wien.
Eine neue große Chance ist eindeutig die Ostöffnung mit ihren Potentialen für die Wirtschaft in unserem Raum, sodaß sich dieses West-Ostgefälle langfristig wohl etwas ausgleichen wird. Diese Wirtschaft in Graz wird von einem Mix aus Dienstleistung, Handel und Industrie getragen, sodass es keinen alleinbestimmenden Schwerpunkt gibt. Dies hat die bekannten Vor- und Nachteile, zB von großen Blütezeiten einzelner Industriezweige wie der Stahl- oder Textilindustrie ebenso wenig zu profitieren wie man in Zeiten des Niedergangs davon betroffen ist. Der vorhandene Mix an Unternehmen ist außerdem oft regional verankert. Wenn auch viele dieser Unternehmen international tätig, so fehlen doch weitgehend internationale Konzerne im großen Stil, wie es sie in Holland gibt. Das heißt die Strukturen sind vielfach noch in Familienbesitz. Dies kann für das Leben einer Stadt große Qualitäten aufweisen, da hier sozusagen “Local Heros” entstehen können: als Mäzene für die Kunst, als anspruchsvolle Investoren für Handel in der Innenstadt oder als Meinungsbildner für notwendige Projekte oder Erneuerungen usw. Die Kenntnis und Verbundenheit mit der eigenen Heimat und die Weitsicht durch das globale wirtschaftliche Agieren zeichnen diese Menschen aus und stellen für eine Stadt ein großes wertvolles Potential dar.

Die Rolle der Universitäten
Die Tradition von Graz als Universitätsstandort bestimmt nach wie vor sehr stark das Leben der Stadt. An den Grazer Universitäten und Fachhochschulen kann man fast alle in Österreich angebotenen Studien inskribieren. Hier ist für mich bemerkenswert, dass die Unis nicht nur geistiges Know-How bieten. Eine besondere Qualität ist die Rolle als
Publikum. Es ist vielen sicher nicht bewusst, dass ca. 40.000 Studentinnen, also rund 20% der Bevölkerung, natürlich eine besondere Lebensstilgruppe darstellen, deren Interessen aber auch Zeitbudget für Kultur, Freizeit und Sport natürlich sehr ausgeprägt sind. Weiters denke ich, das Studierende durch die Öffnung der Grenzen in Europa und die damit steigende Mobilität eine neue Funktion als Meinungsbildner und Trendscouts erhalten. Wer als Student für ein Jahr in eine europäischen Stadt kommt, wird Erinnerungen an die Stadt, die Region, die Menschen mitnehmen, an die er sich später als Manager wieder erinnern wird. Meiner Meinung nach ist dieses Thema in der Standortpolitik der Städte noch sehr unterentwickelt. Es wäre nämlich ein vergleichsweise sehr kostengünstiger Standortfaktor, Studierenden einen schönen Aufenthalt zu bieten, vor allem wenn man schon ein so schönes Umfeld hat wie Graz.

Aus aktuellem Anlass dieser Veranstaltung möchte ich auch kurz die Rolle der Architekturfakultät in Graz ansprechen. Meiner Meinung nach gilt das gesagte sinngemäß: So schreibt zB Friedrich Achleitner, der anerkannteste österreichische Architekturkenner und Analyst: XXXXXXXXXXXXXXXXX Es ist also die Rolle der Fakultät für das öffentliche Leben und auch die Planungskultur sowie urbane Entwicklung in Graz eine informelle. Gleiches gilt für die Architektur und der Instrumente, welche immer wieder zu diskutieren und mit öffentlichen Stellen auszuverhandeln sind, wie Wettbewerbswesen usw. Diese öffentliche Verantwortung wird von der Architektenschaft selbst getragen. Die Architektenszene organisiert sich dabei einerseits über die Kammer als Standesvertretung und andererseits über Qualitätsvertretungen wie das Haus der Architektur, meist in enger Zusammenarbeit, je nach Thema und Anlassfall. Die Qualität der Architekturfakultät ist jene als großes Reservoir für über 1000 Studierende aber auch Gastprofessoren, Workshopleiter usw. Diese stellen einen internationalen Austausch dar, welcher natürlich im kulturellen Leben der Stadt sehr bereichernd sind.

Die Rolle der Kultur und Architektur
Der Bereich der Kultur ist in Graz traditionell sehr stark ausgeprägt. Er hat seine Basis auf der Tradition und Infrastruktur der bürgerlichen Stadt der Jahrhundertwende, mit öffentlichem Theater und Opernhaus, sowie zweifellos auf der universitären Präsenz in der Stadt. Eine überregionale Bedeutung hat es in der Geschichte aber eher selten gegeben. Erst nach 1968 aus Widerstand nicht nur gegen Verhältnisse der Gesellschaft sondern auch gegen die Randlage im Südosten ist eine relevante Entwicklung entstanden. So gibt es ein relevantes internationales Kunstfestival “steirischer herbst” seither. Auch die Idee eines “Trigon-Museums” als Ort der Kunst im Raume der angrenzenden Länder entstand schon damals, sodass es schon zwei Planungen für ein Kunsthaus in den 80ern und den 90ern gab, bevor das jetzige Kunsthaus als dritte Planung im Zuge der Kulturhauptstadt realisiert wurde. Dies ist deswegen ganz wesentlich, weil also kulturelle Maßnahmen und Infrastruktur aus bestehenden Aktivitäten generiert werden. Letztendlich gilt das ebenso für das Event der Kulturhauptstadt, welche ursprünglich nicht eine Idee eines Standortmarketings war, sondern Ausdruck für die vielen heimischen Aktivitäten, welchen man ein Schaufenster oder eine Bühne bieten wollte. Die Vielfalt der Aktivitäten, welche
aus Handlungen, Produktionen, Veranstaltungen bestehen ist natürlich in diesem Rahmen schwer zu vermitteln.
Die Architekturentwicklung kann man durchaus parallel sehen. Auch hier entstand in den 60ern ein Humus oder Umfeld, welches die jetzige bekannte Situation in der Architektur begründete. Personen, die zwar von der Universität kamen, aber frei von deren Struktur gesellschaftsrelevante Statements in die Öffentlichkeit brachten, waren stark mit der Kunstszene verwoben. Über den politischen Aufbruch der 70er-Jahre kam diese Entwicklung in den 80er-90er-Jahren zu Hochblüte. Als ein politisches Projekt gefördert, fanden die Architekten und deren Engagements auch die Verbindung zum Bauen, sodass wesentliche öffentliche Bauten von Universitäten über Krankenhäuser bis zum Wohnbau von der Architekturszene nicht nur bearbeitet sondern auch mit Unterstützung der öffentlichen Hand realisiert werden konnten. Der Begriff der Grazer Schule datiert daher, also nicht in Zusammenhang mit der Hochschule sondern als eine sehr disparate Bewegung als eine Schule der Architektur(praxis).
Seit Mitte der 90er-Jahre und spätestens im neuen Jahrtausend sind diese Mechanismen aber radikal im Umbruch. Wie auch in Holland hinlänglich bekannt, machen die Veränderungen der Globalisierung und der Wohlfahrtsstaaten viele der alten Mechanismen nicht mehr praktikabel. Auch in Österreich, der Steiermark und in Graz selbst sind politische Mehrheiten nicht mehr kontinuierlich sondern im Wechsel und werden Bereiche wie Wohnen und Bauen zunehmend in privatwirtschaftliche Abläufe verlagert. Dies betrifft alle beteiligten Gruppen wie Politik, Verwaltung, Architekten, Investoren, Wohnungsgenossenschaften usw., welche sich nicht nur neu orientieren müssen. Insbesondere müssen sich die Gruppen auch neu organisieren also die gegenseitigen Abläufe verändern und neu lernen.

Was heißt das also für diese Gruppen, für uns alle, und in welchem Kontext der Stadt und
Architektur werden wir agieren müssen?

Die Stadt heute

100% Stadt

In den letzten 20 Jahren und stark sichtbar im neuen Jahrtausend haben sich nicht nur global sondern besonders in Europa die ökonomischen und politischen Bedingungen wesentlich geändert. Parallel dazu ändert sich die Gesellschaft selbst, Ansprüche und Verhalten von Kollektiven und Individuen.
Nachdem nationalstaatliche Prioritäten und Steuerungen, wie sie in den 70ern noch Wachstum und Wohlstand versprachen, mehr und mehr verschwinden, sehen wir uns und somit Städte mehr und mehr mit internationalen und globalen Einflüssen konfrontiert. Ein Effekt ist, dass Städte nicht mehr jene Voraussetzungen haben, die sie “unersetzbar” machen, weder infrastrukturell noch produktiv oder personell. Wir müssen mittlerweile anerkennen, wie schnell ganze Industriestandorte ihre Position wechseln können, von einer Region in die nächste, von einem Land in das nächste, von einem Kontinent in den nächsten. Aber das heißt natürlich vice versa ganz grundsätzlich, dass nicht nur Absiedelung sondern auch Ansiedlung möglich ist. Von Menschen, Unternehmen, Kulturen, Infrastrukturen. Die Mobilität steigt. Und während weltweit und national großräumige Konzentrationen stattfinden, man denke an das rasante Anwachsen der urbanen Agglomerationen rund um die Städte, so finden regional immer stärkere Dezentralisierungen statt, man denke an die Suburbanisierung und den sprawl um die Kernstädte. Die heutige Stadt ist also ein Organisationsfeld, in dem unberechenbare Kräfte wirken, nicht nur der Ökonomie sondern genauso der Identitätsbildung. Während all unsere Strukturen auf ein klassisches Gesellschaftsbild ausgerichtet sind, ist das wirkliche Leben des Einzelnen längst ganz anders. Man denke an Arbeitnehmer-Arbeitgeber vs. Ich-AG, man denke an das Familienbild vs Singlehaushalte, man denke an Phänomene wie Frühpensionierung vs. steigender Lebenserwartung usw. Klar ist, das diese Lebensweise andere Bedürfnisse des Wohnens, des Arbeitens und somit der Stadtbenutzung erfordern werden. Klar ist, dass diese Form der Stadt jeder einheitlichen Darstellung widerspricht. EIN Bild der Stadt existiert also nicht mehr, wie die Realität entgegen aller Bemühungen der Stadtplaner und Stadtliebhaber beweist. Weder die “Kompakte Stadt” oder die geschützte musealisierte Stadt oder die Stadt von Plattenbauten ist eindeutig mehrheitsfähig, die Stadt der Einfamilienhäuser ist es genauso wenig.
Für die Architektur bedeutet dies eine Krise der Repräsentation. Denn zwar gibt es das eine Bild nicht mehr, das wir kennen und lieben, aber es bleiben natürlich die Sehnsüchte nach dem Überschaubaren, dem Ursprünglichen und dem Authentischen genauso wie nach Erfüllung unserer Ansprüche an technische Ausstattung und Qualität, sprich dem alltäglichen Leben. Es geht also nicht mehr um eine “Hochkultur” oder eine “Unterhaltungskultur” sondern um urbane “Welten”, in denen unser Leben mit all den Sehnsüchten geführt werden kann. Städtische Architekturen werden also zunehmend diese Aufgaben erfüllen müssen, auch um neben Disneywelten, Celebration-Cities oder Infotainmentmalls bestehen zu können, welche diese Sehnsüchte scheinbar gut bedienen können.

Identität – Stadt als Lebensform

Es ist also zu erkennen, dass es bei der Architektur der Stadt nicht nur um funktionale Erfordernisse geht. Wenn auch Identität ein schwer fassbarer Begriff ist, ist er doch in aller Munde. Ein ständiges Versprechen kursiert in Städten: Egal ob nach dem Neuen, dem Sensationellen oder auch dem Alten, dem zu Schützenden und heimeligen. Wie persönlich gefärbt auch immer die Debatten im politischen Alltag zu diesen Themen aussehen, zeigen sie doch nach wie vor eine Auseinandersetzung mit der Stadt, dem eigenen Umfeld. Identität ist also jedenfalls auch Identifikation mit etwas. Eine Verbindung persönlicher Befindlichkeiten mit vorhandenen Gegebenheiten, Handlungen, Meinungen. Diese fördern Stimmung und Schwingung in einer Stadt, Selbstbewusstsein, Vertrauen, “Aufbruch oder Niedergang”. Diese Identifikationen mit etwas sind Chancen und Risken im Verhältnis einer Stadt zu ihren Bürgern, Unternehmen, Künstlern, Meinungsbildnern. Die Wahrzeichen sind die einfachste Form dieses Mechanismus: Als Gebäude mag der Uhrturm in Graz wenig bedeutsam sein, für den Fremden eine Anekdote. Für die Stadt selbst und also viele Menschen in ihr hat er die gleich bedeutende Funktion und Wirkung wie der Eiffelturm in Paris oder die Tulpen für Holland. Ein Phänomen, das rational schwer erklärbar ist, angesichts dieses schrulligen Türmchens mit verkehrten Uhrzeigern. Es gibt aber auch komplexere Formen, warum eine Stadt für Kids zum Leben cool ist, für internationale Künstler reizvoll oder für alleinerziehende Arbeitnehmer lebenswert. Für die Stadt ist dies Beziehung über Identifikation mit etwas ein wichtiger Standortfaktor, der oft mit Architektur in Verbindung steht. Wenn über den Bilbao-Effekt gesprochen wird, so wird dies mit Tourismuszahlen erklärt – oder zu erklären versucht. Genauso in Graz, was zum Scheitern verurteilt ist. Rechnet man die Mehreinnahmen durch gestiegene Tourismuszahlen gegen die Investitionen einer Kulturhauptstadt und ihrer Kulturbauten auf, amortisiert sich dies erst in 4,3 Jahren, und das kann nicht der Ernst der Verantwortlichen sein oder ein Effekt, auf den man stolz ist. Andere Effekte bleiben dafür unbeachtet: So nimmt das Kunsthaus in Graz immer mehr eine Wahrzeichenfunktion ein. Und ich sage ihnen meine persönliche Meinung als Grazer: Es scheint mir sympathischer und selbstbewusster und somit zukunftsträchtiger zu sein als der Türmchen-Rest einer alten Burg. Dies zeigt sich auf Ansichtskarten ebenso wie als Mittelpunkt eines auflebenden, jugendlichen Stadtviertels oder auf der sogenannten Landkarte der globalen Kultureinrichtungen.
Das heißt für die Architektur die Chance aber auch Verpflichtung, Auseinandersetzung für die “eigenen” Stadtbewohner bieten zu können, um in der Krise der Repräsentation nicht alten Bildern nachzuhängen sondern neue Angebote bieten zu können. Städtische Architektur hat sich also in erster Linie an die Stadt selbst und deren User zu richten und nicht vordergründig nach unerfüllbaren Touristenstromeffekten. Im Übrigen bin ich der Meinung, wenn das erstere funktioniert wird sich auch das zweitere einstellen. Auch in Venedig war es so.

Hyperkultur vs Alltagskultur einer Stadt

Das Frage nach dem Verhältnis zwischen Architektur und der Identifikation wirft einen wesentlichen Aspekt im heutigen städtischen Kontext auf, nämlich der Architekturen und der Programme oder Erwartungen, mit denen sie aufgeladen werden. Oder werden sollen. Denn die Öffentlichkeit spricht selten von der Architektur und der Aneignung durch die Bürger. Um es am bekanntesten Beispiel zu nennen: Vielmehr gibt es ja in Europa kaum mehr eine Stadt, die sich nicht auftrumpfend Kulturstadt nennt und dies mit dem Bau des einen oder anderen mehr oder weniger spektakulären Architekturjuwels zu beweisen sucht. Dazu versucht man früher oder später Kulturhauptstadt zu werden, so man nicht schon zufällig über ein internationales Festival oder sonst wie verwertbare Events verfügt. Damit einher geht das Versprechen internationaler Standortvorteile, ja ganzer Stadtentwicklung samt Unternehmensansiedlung, mit einem Wort: auf der globalen Landkarte der Städte markiert zu werden. Ich denke, dass dies ein gefährliches und nebenbei teures Spiel ist – wenn man es verliert. Ich betone aber auch, dass hier Differenzierung angebracht ist, weil ich damit nicht meine, Städte sollten lieber inaktiv bleiben und Kulturbauten wären zu vermeiden. Im Gegenteil. Nur der Glaube, mit Architektur allein Städte grösser, bedeutender zu machen als sie sind, wird genauso wenig funktionieren, wie damit Einmaligkeit für eine ganze Stadt zu erzeugen, Einzigartigkeit auf Knopfdruck. Und die mediale Versprechung wird auch nicht gehalten werden können, irgendwann ist der Reiz für die Medien vorbei, oder wann hat man das Guggenheimmuseum in Bilbao das letzte Mal in den Medien gesehen. Sinngemäß gilt dies meiner Meinung nach aber genauso für Technologieparks, Erlebniswelten usw. Und dass Kultur – oder eben Forschung, Unterhaltung usw. – global zirkuliert ist unbestritten, das war im Übrigen schon immer so. Es hat also keinen Sinn, eine bestehende globale Kultur, welcher wir uns ja gar nicht entziehen können, einer lokalen Kultur gegenüberzustellen oder gar gegeneinander auszuspielen, die “bessere” Kultur für die Stadt zu finden. Wenn man aber die Architekturen und deren Funktionen, Bedeutungen in einen längeren Zeitraum als Teil der Stadt begreifen will, wird man sie mit dem Leben der Stadt verweben müssen. Und das Leben einer Stadt ist ein Prozess. Das heißt für die Architektur, dass eine “globale” Erscheinung allein noch nicht ausreichen wird. Identität ist kein Ding, also auch nicht die Architektur selbst. Ob Architektur angenommen, benutzt, geliebt wird, ist an soziale, politische, kulturelle Voraussetzungen und Befindlichkeiten gebunden, an Lokalität. Nur dieser alltägliche Prozess der Aneignung in der jeweiligen Stadt selbst kann Identifikation mit Architektur herstellen und zum versprochenen Erfolg führen.

Stadtplanung und Stadtentwicklung als Standortpolitik

Betrachtet man also diese Rahmenbedingungen für die Stadt heute, kann man folgende
Schlüsse ziehen. Zweifellos ist eine neue Form der Standortkonkurrenz entstanden, sodass Stadtpolitik auch Standortpolitik heißt. Wobei die wenigsten Städte die ökonomische und organisatorische Potenz haben, ihre Stadtentwicklung alleine und ideal zu lenken. Punktum: Stadtplanung durch Politik und Verwaltung hat an Macht und Einfluss verloren und tut dies weiterhin, gerade zu einer Zeit, als man Macht und Einfluss mehr als je zuvor benötigen würde. Das Feld ist komplex und in Europa keineswegs einheitlich. Die Stichworte die den Diskurs der Städte bestimmen, sind in Gewichtung und Erscheinung jeweils lokal: Wettlauf nach privaten Investitionen und Betriebsansiedlungen gegen Abwanderung von Arbeitsplätzen. Generelles Wachstum und Druck in der einen Region, Schrumpfung oder keine Nachfrage in der anderen. Kernstadt vs. Speckgürtel. Alternative Einnahmequellen von Tourismus über Ökologie bis Erholung. Migration und Integration usw usw. Faktum ist also, dass die Frage einer Stadt als gewünschte Lebensform in Bewegung ist und sich über ihre Möglichkeiten und Angebote definiert. Das bietet auch Chancen, da Groß oder Klein, da oder dort allein nicht mehr so entscheidend sind. Vielmehr geht es um Grundlagen, städtisches Leben zu ermöglichen. Dies ist nach wie vor eine generelle infrastrukturelle Grundlage, wie der Verkehr, IT-Verbindungen und die Ver- und Entsorgung usw. Diese sind jedenfalls weiterhin von den Städten zu gewährleisten, aber durchaus auch an neue Anforderungen anzupassen, man denke zB an die Problematik des Verkehrs zwischen den Kernstädten und dem Umland. Weiters die Ausbreitungsmöglichkeit einer urbanen Serviceindustrie, wie sie bezeichnet wird. Das bedeutet von der Verfügbarkeit kreativer Dienstleister über Hochschulabsolventen und Facharbeiter bis zum Support für den urbanen Single, sprich Pizzazustellung. Das mag banal klingen, ist aber eine wesentliche Grundlage der Zukunft. Nach dem Wegfall der Industrie als primären Produktionsfaktor der Stadt und der zunehmenden Abwanderung des Handels in Umland oder Internet werden produktive Dienstleistungen am stärksten an Städte gebunden sein. Das zeigt auch die Praxis, dass sich Headquarters oder Forschungseinrichtungen keineswegs ins Niemandsland zurückziehen, sondern für ihr wertvollstes Gut, nämlich die Mitarbeiter angemessene Lebensumfelder suchen. Das heißt weiters, dass für diese Ausbreitung der Serviceindustrie und folgend ihrer Lebensstile eine bestmögliche Raumstruktur förderlich ist: Stadt, Architektur, Freiräume und diese natürlich verfügbar, leistbar, gestaltbar. Last but not least werden es genau diese Menschen sein, die sich mit dieser Stadt und ihren Architekturen identifizieren müssen. Es schließt sich der Kreis, dass auch die emotionalen Eigenschaften einer Stadt, der Menschen in ihr, der Stimmungen und Lebensgefühle attraktiv sein müssen. Es muss in dieser Stadt, in den Architekturen, in den Freiräumen auch etwas faszinierendes passieren. Eine Stadt fasziniert, wenn die Kultur in ihr lebt und verankert ist, sich aber auch erneuert und neues produziert.

Innovative Menschen und Architektur als treibende Kräfte

Wenn also viele Städte selbst immer weniger organisatorisch und finanziell in der Lage
sind, ihre Entwicklung durch ihre Organe zu steuern, was können sie tun?
Zum einen bedingt gerade diese Situation umso mehr Vorstellungen, was man realistisch in einer Stadt tun will und kann. Lokalität bekommt also noch mehr Bedeutung. Vision und Mut auf der einen Seite müssen begleitet sein von Machbarkeit und Umsetzungsdisziplin. Konzepte und Ideen müssen nachvollziehbar sein und über einen längeren Zeitraum außer Streit gestellt werden. Öffentliche Interessen müssen formuliert und gegenüber den steigenden Partikularinteressen verteidigt werden. Und dieser Verhaltensmodus muss für alle Inhalte dieser Prozesse gelten, egal ob es einmal ein Investorenprojekt oder den Schutz eines Individuums betrifft, ob es um innovative private Architekturprojekte oder die Umsetzung eines öffentlichen Radweges geht.
Zum anderen bedingt es eine neue Kultur der Kooperation und Zusammenarbeit zwischen den Akteuren einer Stadt. Die Anzahl der Anspruchsgruppen, Mitentscheider und Meinungsbildner ist in unserer individualisierten Gesellschaft derart, dass die Entscheidungsfindungsprozesse nicht mehr zum Ziel führen, wenn auch Ansprüche und Handlungen der einzelnen Teile durchaus integer und aus deren Sicht verständlich sind. Eine Politik, die sich zunehmend auf die Rolle der Moderation dieser Argumente zurückzieht, kann letztendlich auch keine notwendige Entwicklung herbeiführen.

Aus diesem Zusammenhang sehe ich abschließend zwei große Potentiale für eine
städtische Erneuerung:

Kreative Stadtentwicklung als kommunales Handeln der besten Köpfe

Wenn kreatives innovatives Humankapital für die die wirtschaftliche Dynamik der Serviceindustrie verantwortlich ist, sollte man dieses auch für das “Projekt Stadtentwicklung” heranziehen. Dazu wird aber nicht nur die Offenheit für Vielfalt und Partizipation sowie Vernetzungsservice ausreichen. Es ist nicht zu verwechseln mit einem “innovativen Milieu” welches die Stadt generell bieten sollte bzw. Ein Ziel von Stadtentwicklung sein sollte. Vielmehr meint Kreative Stadtentwicklung als kommunales Handeln der besten Köpfe einen strukturierten und kontinuierlichen Prozess, der anhand konkreter Projekte und deren Zielerreichung gemessen wird. Dies kann die Gesamtstadt betreffen oder auch einzelne Projekte, öffentliche wie private.

Städtische Architektur als permanenter Stadtumbau

Architektur ist eine immanent öffentliche Angelegenheit. Egal ob öffentlich oder privat, muss sich Architektur in die Stadt fügen, sich durchsetzen, sich erklären. Stadtentwicklung konkretisiert sich immer in Architektur, egal ob als Platz, als Verkehrsbauwerk, als Museum oder Dachausbau. Architektur kann also in die Bedeutungszusammenhänge einer Stadt gesetzt werden: Im Sinne mehr Attraktivität, Identifikation, Innovation, mehr Dichte, mehr Wohnen usw. je nachdem welche Entwicklung man wünschenswert findet. Das heißt, es besteht die Möglichkeit für eine Stadt, über ihre Entwicklung zu entscheiden ohne sie bezahlen zu müssen. Wer als Stadt innovative Architektur mit Potential zulässt, egal ob von einem Investor oder privatem Bauherren kann diese Entwicklung fördern, wer den Einsprüchen der Partikularinteressen der Anrainer folgt, kann diese Entwicklung behindern. Dies stellt eine Ausgangsbasis dar. Im täglichen Stadtumbau mit Architektur kann eine Stadt natürlich auch aktivere Rollen einnehmen, durch Förder- und Steuermechanismen oder bei den eigenen Bauaufgaben.
Jedenfalls: Bei der Umsetzung städtischer Architektur werden alle relevanten Themen der Stadtentwicklung berührt. Ob bei der Frage nach dem richtigen Wohnangebot für die Zukunft, der Frage von attraktivem Handel in historischen Weltkulturerbe oder dessen Musealisierung oder der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Und Architektur hat sichtbare Vorbildwirkung, durch ihr Bestehen und Funktionieren selbst kann sie künftige Bauherren motivieren in diese oder jene Richtung zu gehen. Das heißt es ermöglicht Stadtentwicklung und Stadtplanung abseits großer direktiver Planungen, welche zumindest in Graz nicht mehr durchsetzbar sind. Mit Architektur, nämlich als permanentes Bauen von Stadt wie es jeden Tag passiert, können die handelnden Personen einer Stadt jederzeit an der Entwicklung der Stadt arbeiten und ihre Vorstellungen dokumentieren.

Im Übrigen tun sie es – tun wir es so oder so, ob bewusst oder nicht, und die Architektur wird davon zeugen. Wir werden damit unsere Vorstellung von Stadt als Lebensraum hinterlassen und als unser Erbe dem Bild der Stadt hinzufügen.

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