Pilotversuch West End Graz
Pilotversuch West End Graz
2003
Das Gebiet Graz-West ist schon lange Problemzone der Grazer Stadtplanung: Brachliegende Grundstücke, schlechte Verkehrsverbindungen und eine extreme Mischung zwischen Wohn- und veralteten Industriegebieten vermindern die Lebensqualität und machen den Wirtschaftsstandort unattraktiv. Das „Projekt Graz-West“ ist ein Pilotversuch, Stadtentwicklung auf Basis von umfassender Kommunikation und unter Einbindung einer vermittelnden Organisation zu betreiben. Gemanagt wird diese ambitionierte Initiative vom Grazer Architekten Harald Saiko und dem Leiter des Amtes für Stadtplanung und –entwicklung, DI Hansjörg Luser.
Zwischen der Grazer Innenstadt und dem Zentrum von Eggenberg liegt ein vielen Grazern unbekanntes Gebiet, das auch verkehrsmäßig vom Rest der Stadt abgeschnitten ist. Vor allem die langen Wartezeiten am Bahnübergang Friedhofgasse bzw. der Kreuzung Annenstraße/Bahnhofgürtel haben sich vielen ins Gedächtnis eingeprägt.
Außerdem sind in dieser Gegend ungefähr 90% des Industriebereichs zurzeit ungenutzt, wie etwa die alte Reininghaus-Brauerei oder das Waagner-Biro-Gelände.
Durch jahrelange städtebauliche Versäumnisse entstand dringender Handlungsbedarf, den die Grazer Politik endlich erkannte: Der Gemeinderat gab nun im Februar dieses Jahres einstimmig dem Antrag für eine „Initiative Graz West“ statt. Aus ihr heraus entstand das Projekt „Stadtentwicklung Graz West“ unter der Projektleitung des Grazer Architekten Harald Saiko und des Leiters des Amtes für Stadtentwicklung und Stadterhaltung, DI Hansjörg Luser.
„Defizite als Chancen“
„Unser langfristiges Ziel ist ein schön gestaltetes Stadtviertel, indem man gerne arbeitet, gerne wohnt und gerne studiert,“ meint DI Hansjörg Luser.
Die Herausforderung des Projekts besteht darin, alle betroffenen Parteien in eine umfassende, vernetzte Planung einzubinden. Denn: In sich entwickelnden Gebieten ist es häufig so, dass zwar einzelne Projekte realisiert oder Wettbewerbe ausgeschrieben werden, es findet jedoch keine Kommunikation untereinander statt. „Der Nachbar weiß vom anderen nicht, was dieser bauen will. Projekte landen in der Schublade, weil sich auf einmal jemand, der nicht gefragt wurde, querstellt.“ bedauert Architekt Harald Saiko. „Wir wollen jeden einbinden, um im Vorfeld komplexe Probleme zu klären. So können wir am Ende zu einfachen Lösungen kommen, die von allen akzeptiert werden.“ Die beteiligten Parteien (wie etwa Anrainer, Grundstückseigentümer, aber auch die GVB und das Technikum Joanneum) sollen ihre Interessen vorbringen können. Alle BürgerInnen sind eingeladen, Mitte November an einer ersten Informationsveranstaltung teilzunehmen. Ein großer Wunsch der Projektleitung ist auch die Errichtung eines eigenen Terminals vor Ort, wo alle Informationen laufend und von jedem abgerufen werden können. Das Gesamtkonzept und die einzelnen Pläne sollen dabei anschaulich und verständlich dargestellt werden.
Städtebaulicher Wettbewerb – der erste Schritt
Die Fachhochschule Joanneum, die 1997 in das „rote Haus“ in der Alten Poststraße gezogen ist, wird seitdem ständig erweitert. Der Wettbewerb für die bis 2008 notwendigen Bauabschnitte soll in Kürze ausgeschrieben werden. Eine wichtige Bereicherung für das Stadtgebiet. Zusätzlich zum neuen Campus ist die Errichtung eines neuen WIST-Studentenheims in der näheren Umgebung geplant. Wie man diese einzelnen Projekte in ein städtebauliches Planungskonzept eingliedert, soll wiederum ein Wettbewerb klären, der derzeit im Gange ist. Acht Teilnehmer aus dem In- und Ausland (etwa Delugan_Meissel aus Wien, Henke & Schreiek und das Architekturbüro L.O.V.E. aus Graz, MVRDV und Kees Christiaanse aus Rotterdam) suchen bis 3. November nach Möglichkeiten der Stadtentwicklung.
Für die Architekten handelt es sich dabei um eine neue Form der Aufgabenstellung. „Der Städtebau ist eine besondere Herausforderung“, meint etwa Architektin Elke Delugan vom Wiener Architekturbüro Delugan_Meissl.
Und die Architekten vom Grazer Büro L.O.V.E. betonen: „Jetzt stehen noch alle Möglichkeiten offen, da hat man noch die Chance, alles richtig zu machen.“
Zukunft gesichert
Finanziell gesichert ist das gesamte Projekt für die nächsten drei Jahre. Außerdem hat Graz Anspruch auf die EU-Förderung „URBAN 2“ in der Höhe von bis zu 55 Millionen Schilling. Voraussetzung dafür ist, dass sich auch die Stadt beteiligt. Bis zum 8. November muss sie ein dahingehendes Programm beschließen.
Relevante Daten sowie bereits geplante Projekte sind etwa Umfahrungslösungen für den Durchzugsverkehr, die durch den Bau der ÖBB-Koralmstrecke ohnehin notwendig würden. Die Alte-Post-Straße soll im Bereich der Fachhochschule durch drei neue Bahnunterführungen verkehrsberuhigt werden. Im Idealfall wird die Alte-Post-Straße nur noch dem Rad- und Fußgängerverkehr offen stehen.
Auch das Gebiet um den Plabutsch soll in das Projekt „Graz West“ mit einbezogen werden. Saiko: „Wir wollen den Plabutsch aus seinem Dornröschenschlaf wecken und in ein Naherholungsgebiet integrieren, das auch das Eggenberger Bad und das Schlossareal mit einbezieht.“
Ziel des Entwicklungsprozesses ist zunächst ein städtebauliches Leitbild, danach eine umfassende Nutzungsfestlegung von Grundstücken bis zu ganzen Gebieten. Neben einigen Widmungs- und Bebauungsplänen handelt es sich dabei meistens um Empfehlungen auf verschiedensten Ebenen. Ob sich die Beteiligten an ihre Abmachungen halten, liegt jedoch immer noch in ihrer Hand. Auch die geplante politische Absicherung wird dieses Risiko nicht ausschalten können.