Ideales Wohnen - Ein Europa der Einfamilienhäuser

Das Haus mit Garten

Der Abschied vom Nicht-Städtischen kann ohne eine Betrachtung des Phänomens Einfamilienhaus naturgemäß nicht erfolgen. Und vorweg: Der Abschied vom Nicht- Städtischen, um sich 100% Stadt zu widmen, wird keinen Abschied vom Haus mit Garten bedeuten, ganz im Gegenteil. Stellt doch gerade das Haus im Grünen ein Symbol für jene Suburbanisierung um die traditionellen Städte dar, welche im ausgehenden letzten Jahrhundert die nunmehr weit fortgeschrittene Entwicklung einer städtischen Agglomeration von Beginn an und vielleicht am sichtbarsten mitgeprägt hat. Und auch jene Begriffe, welche für diese Stadtentwicklung lange Zeit prägend waren, wie etwa Zersiedelung oder Peripherie, beziehen sich unausgesprochen auf das Haus im Grünen, auch wenn diese Begriffe sinngemäß Veränderungsphänomene im größeren Zusammenhang ansprechen, wie einen negativ konnotierten Landschaftsverbrauch im Falle des Begriffes Zersiedelung oder ein neues Komplementär zum Zentrum im Falle des Begriffes Peripherie.
Doch beachtenswert ist der Umstand, dass das Phänomen des gewöhnlichen Einfamilienhauses zwar unter dem Vorwand der genannten gesamtstädtischen Rahmenbegriffe thematisiert wird, die Debatte sich aber sehr oft in einer formalen Kritik am Objekt selbst erschöpft. Die Beschwörung des Unterganges der „europäischen Stadt“ im kulturpessimistischen Sinne wird unter anderem gerne mit einem überheblichen oder zumindest belehrenden Verweis auf die einzelnen Highlights des familiären Selbstbaus begleitet, welche sich als zeitloses Erfolgsmodell vor den Toren der Stadt präsentieren. Folgerichtig findet diese formale Kritik am einzelnen Haus entsprechend Eingang in das Fach, wenn etwa in weiten Teilen Österreichs das gemeinte Thema der Zersiedelung und somit das räumliche Problem über Instrumente des Ortsbildschutzes also als formales Problem behandelt wird. Und auch profunde Kenner der Materie über die nationalen Grenzen hinweg sind nicht gefeit vor diesem Dilemma. In einem Interview (1) konstatiert der holländische Architekturhistoriker Bart Lootsma zum Thema des Städtebaues unter anderem eine europaweite Entwicklung in Richtung privatfinanzierter Einfamilienhäuser und teilt somit die Aussagen dieses Artikels, unterstellt aber gleichzeitig dass „die meisten davon ohne Architekten realisiert werden“, was in weiterer Folge widerlegt werden muss.

Dieser immanente Widerspruch sowie die Robustheit dieses Archetyps des privaten Wohnens gegenüber vielfacher Anfeindungen aus den akademisch geführten Debatten der Architekten- und Stadtplanerschaft war Anlass einer bewusst vorurteilsfreien Recherche, dem Phänomen des Hauses im Grünen gegenüber zu treten. Doch wie also „vorurteilsfrei“ vorgehen bei einem Thema, welches wie wenige andere durchdrungen ist von allen Lebens- und somit Forschungsbereichen, dessen große Komplexität gemessen an seinem vergleichsweise einfachen äußeren Erscheinen, dem Haus mit Garten, seit gut 100 Jahren die Entwicklung unserer politischen, sozialen wie eben räumlichen Gesellschaftsformen so maßgeblich mitbestimmt? Zwischen staatlicher Eigenheimförderung und Pierre Bourdieu, zwischen kompakter Stadt und dem idealen Wohnwunsch von angeblich 75% der mitteleuropäischen Bevölkerung?

Ein Reisebericht aus Europa
Die angesprochene Motivationslage zwischen dem Einfamilienhaus als Partikel in der Stadtlandschaft und als formalem Phänomen sowie die Debatten darüber legten nahe, diese Eckpunkte selbst zum Rahmen zu machen. Die Folge war eine 12.000-km- Entdeckungsreise durch 11 Länder Mitteleuropas, der der Nukleus "Einfamilienhaus" als Ziel und gleichzeitig als Ausgangspunkt im wahrsten Sinne zugrunde gelegt wurde. Entlang zweier willkürlich festgelegter Linien quer durch Europa wurden die tangierten bekannten und unbekannten Stadtlandschaften mit dem Auto auf der Suche nach offensichtlich neueren Häusern durchstreift. Mit einer Pocketkamera wurden die so zufällig aufgespürten über 400 anonymen Beispiele aus jeweils vier Perspektiven, von der Einbettung in der Umgebung über Schräg- und Frontalaufnahme bis zu einem charakteristischen Detail dokumentiert. Parallel dazu wurden Gespräche mit einschlägigen nationalen Experten geführt, um den jeweiligen regionalen Entstehungsprozessen und Traditionen bei der Verwirklichung des Traumes vom eigenen Haus auf die Spur zu kommen.
Gemeinsam mit dem Auftreten dieser neuen Häuser in kommerziellen wie pädagogischen oder fachlichen Medien wie Katalogen, Zeitschriften, TV- und Radiospots wurden 120 ausgewählte Beispiele von Haus mit Garten aus den elf Ländern Europas schlussendlich in einer dokumentarischen Dia-Ton-Text-Installation sowie in einem Katalog im Rahmen des Kunstfestivals „steirischer herbst“ veröffentlicht. Unter dem Titel „Heimlich / Eine Forschungsreise nach dem Traum vom eigenen Haus“ (2) brachte dieser dokumentarische Reisebericht empirisch auch wesentliche Erkenntnisse zum besseren Verständnis der angesprochenen Motivationslage und dem Zustandekommen eines unbestrittenen Idealtyps.

Eine perfekte Location
Im formalen Bereich zeigt der Blick auf die Häuser selbst eine grundsätzlich andere Ästhetik als noch jene, welche sich uns aus den 70er Jahren ins Gedächtnis schrieb. Im Vergleich zu früher eher "eigengestalteten" Häusern, könnte die Charakteristik der neuen Häuser vielleicht mit der Schaffung eines perfekten Ambientes in perfekter Ausführung beschrieben werden, quasi einer perfekten Location. Gemeint ist damit eine Homogenität, die die älteren Beispiele mit ihren an- und eingefügten Versatzstücken vermissen lassen, wo das Selbstgemachte spürbar bleibt. Das Zustandekommen dieses nunmehr geglätteten Äußeren könnte sich nach genauerem Hinsehen über das Detail erschließen: Kleine Kellerfenster mit Sprossenteilung, zwischen den Schichten der Fassaden verschwundene Rollläden ohne sichtbare Kästen und Führungen, farblich abgestimmte Innenverschalungen von Dachüberständen erzeugen durch die Ausprägung der einzelnen Details und deren Fügung eine homogene Erscheinung ohne Brüche und Körperhaftigkeit. Einer Haut gleich, erinnert dieses Äußerliche an die Ästhetik der Bausätze von Modelleisenbahnhäuschen mit ihren dünnen, gestanzten Teilen in bunten Farben.

Dem Bild dieses Bausatzes entspricht auch die Beobachtung des Bestandes eines Bilddepots über die nationalen Grenzen hinweg, in dem ohne erkennbare Ordnung Zitate gelagert werden. Die Baugeschichte bis hinauf zur Moderne, Traditionen verschiedenster Regionen dienen als Katalog zur Entlehnung. Der Einzelne einer immer breiter werdenden Mittelschicht kann mittels bildhafter Fragmente die individuell beste Lösung seines gewünschten und leistbaren Ambientes, das Haus mit Garten, zusammenstellen. Der Bildspeicher der Medien, der Urlaubsreisen, der gebauten neuen und alten Häuser vergrößert sich dabei ständig um die ursprünglich aus ihm entnommenen und neu arrangierten Vorbilder, was die tendenzielle Angleichung der Bilder verstärkt.

Eindrucksvoll bestätigt die Reise, dass das Zustandekommens des Äußerlichen dieser Häuser keine nationalen Grenzen kennt, wenn die 120 ausgesuchten Beispiele vergleichbar nebeneinander gestellt werden: Natürlich kann ein regional traditioneller Typus als Vorbild dienen, sei es das Bauernhaus mit Giebelverschalung und Krüppelwalm, doch kann es genauso gut 1000 km entfernt in gleicher Form aufgespürt werden. Andererseits können aber auch nicht regionale Typen als Vorbild dienen, wie z.B. der eingeschossige Bungalow aus der Moderne oder der miniaturisierte Herrschaftssitz mit Mansarddach, wie sie entlang der Linien durch 11 Länder Europas immer wieder vorgefunden wurden.

Das selbstgemachte Ideal
Der entstehenden Gefahr der Entindividualisierung des Bildes und damit des persönlichen Ambientes durch diese latente Angleichung ist sich das europäische Individuum offensichtlich (unterbewusst) bewusst. Nur logisch ist also die Reaktion, dass identitätsstiftende Mitbestimmung und neue Formen der Eigenleistung diesen Mangel kompensieren sollen. Der Self-Made-Trend ist also nicht mehr nur Eigenleistung als Kostenersparnis sondern Teil des Life Style und macht manuelle Mitarbeit zur Freizeitbetätigung aller, auch gehobener sozialer Schichten. Diese Vermutung wurde vom Marketingchef eines internationalen Baumarktkonzerns auch bestätigt, bis hin zur Aussage dass laut Marktforschung neuerdings Frauen die am stärksten wachsende Zielgruppe bei der Verwirklichung des Traumes vom eigenen Haus und folglich des Baumarktkundenkreises sei.
Dass die so entstandene Kombinatorik vorgestanzter Elemente aus einem universalen Hausbaukasten nicht nach baukünstlerische Originalität im herkömmlichen Sinn strebt ist klar. Es dürfte sich dabei vielmehr um die materielle Verwirklichung einer Bedürfnislage handeln, die im gesamtgesellschaftlichen Maßstab wirkt und auf Abgrenzung bei
gleichzeitiger Einbettung zielt. Man bewegt sich also in einem Paradigma bewährter Gestaltungsmittel wie Tektonik, Fassadenoberflächen etc. und verlagert die Formulierung individueller Abweichungen auf das Arrangement von –  selbstgemachten - Details, wobei der Vorgarten genauso dazugehört wie das immer beliebtere Biotop.

Die Produktion des Bildes
Der Hinweis über das Zustandekommen des „formalen Projektes“ durch vermehrtes Self- Made verweist auf eine weitere beiläufige Erkenntnis aus der Erkundungsreise, welche im ersten Moment nicht weiter verwundert: In seiner europäischen Variante ist der Vorgang des Hausbaus kein einheitlicher!
So sind zum Beispiel Fertighäuser ein rein skandinavisches und erst seit Mitte der 70er Jahre ein quantitativ relevantes Phänomen im deutschsprachigen Raum, in anderen Ländern wie etwa den Benelux-Staaten oder auch Frankreich existieren derartige Firmen schlichtweg überhaupt nicht. In diesen Ländern herrschen dafür Häuser von Generalunternehmern als Träger von Planung und Ausführung im herkömmlichen Sinn vor, in den Reformstaaten finden sich noch archaische Eigenbaumodelle, wo aber die Vorbilder des angrenzenden "Westen" diffundieren und nachgebaut werden. Recherchiertes Faktum ist jedoch, dass ein großer Teil dieser Organisationsformen sich ausgebildeter und befugter Architekten bei der Planung der Häuser bedient, bis hin zum belgischen Modell, das die Planung jedes (!) Eigenheimes durch einen Architekten zwingend vorschreibt. Ein Umstand, der von der Architektenschaft anderer Länder heftig gefordert wird, jedoch bei Ansicht der Ergebnisse zu keinen erkennbaren ästhetischen Auswirkungen oder gar qualitativen Unterschieden im Vergleich der untersuchten Länder zeigt. Dieses Faktum darf als Hinweis gelten, dass das Ideal des Wohnens als Bild bzw. Wunschvorstellung ein derartig persönliches Motiv darstellt, welches durch rationale Argumentation oder Veränderung der Planungs- und  Produktionsstruktur allein nicht beeinflusst werden kann. Doch die Suche nach dem goldenen Vlies der Erkenntnis, wie
denn die 75% von ihrem Vorhaben Häuslbauer zu werden abgebracht werden könnten, verlässt den Pfad der eingeschlagenen Entdeckungsreise.....
Was von der Reise zu den Häusern berichtet werden kann, ist der Umstand dass sich die individuellen Lösungen des Hauses mit Garten einander im Ergebnis oft zum Verwechseln ähneln und diese fertig gestellten Eigenheime in ihrer Homogenität kaum mehr Rückschlüsse auf die Entstehungsart zulassen. Sichtbar werden die kulturspezifischen Unterschiede immer geringer, verschwinden zusehends unter dem Mantel einer gemeinsamen Produktions-, Vermarktungs- und  Informationsstruktur mit dem gemeinsamen Ziel der Idealerfüllung. Als einzig verbindendes Merkmal der Baudurchführung kann wenn überhaupt eine Verschiebung von den tradierten zahlreichen Akteuren gesehen werden, hin zu immer häufiger auftretenden Developper-ähnlichen Organisationsformen einerseits und deren Konsumenten andererseits. Das ursprünglich arbeitsteilige Vorgehen beim Hausbau verdrängend, verstärkt diese Methode natürlich nochmals die angesprochene Angleichung, egal ob es sich um eine vom selben Produzenten aufgeschlossene und mit Fertighäusern bebaute Wohnstraße in Österreich oder vom gleichen Systeembouw errichtete Dörfer in der Randstad Hollands handelt. Es liegt nahe, dass diese Produktionen in ihrer ökonomischen Optimierung einerseits und in ihrer ästhetischen Wunscherfüllung andererseits keine großen Abweichungen vom allgemeingültigen Standard zulassen, aber durch ihren Multiplikationseffekt die permanente
Veränderungen desselben beschleunigen.


Netzwerk Stadt
Wohnbau dieser Art, Additionen oder Gruppierungen neuester Einfamilienhäuser, weisen aber auch ganz deutlich auf eine andere Ebene, nämlich seine Positionierung. Denn folgt man der Logik der Entdeckungsreise hin zum einzelnen Haus, so werden die Spuren der Einbindung dieser Häuser, die Straßen, die Infrastrukturen, sowohl die Sichtbaren wie auch die Unsichtbaren, also letztendlich dem Beziehungsgeflecht der Stadt augenscheinlich und selbstverständlich.
Ein Initialpunkt dieses Erlebens war ein Partikel in der Landschaft Belgiens, das Austausch und Überlagerung von urbanen Funktionen mit landschaftlichen Bildern besonders deutlich macht: In bewaldeten Hügeln südlich von Waterloo - in erheblicher Entfernung von ca. 50 km zur Hauptstadt Brüssel - verbirgt sich abseits einer kleinen Straße eine äußerst luxuriöse Ansammlung von Häusern mit Garten. Rund zwanzig repräsentative Gebilde entlang eines geschwungenen Weges beherbergen den an den Zäunen befestigten Schildern nach hohe Beamte und Botschaftsresidenzen. Die bloße Existenz einer nahen Autobahnauffahrt ist Symbol einer Vernetzung, die aber vor allem unsichtbar in Form der Telekommunikation gegeben sein muss, die diese Lage so wichtiger Entscheidungsträger in unberührter ländlicher Umgebung ermöglicht. Dass die Möglichkeit solchen Austausches nicht an finanzielle Potenz allein gebunden ist, zeigt ein anderes entdecktes Beispiel aus Holland: Aus Kostenersparnis bauen sich dort deutsche Bundesbürger ein Haus mit Garten, arbeiten aber weiterhin in der Stadtlandschaft Ruhrgebiet, wiederum ist nur die Autobahn die sichtbare Verbindung zwischen den beiden "Heimaten" dieser Menschen.

Jedenfalls können die auseinander gedrifteten Funktionen, in diesen Beispielen jeweils Arbeiten und Wohnen, nicht mehr im Netz einer klassisch gedachten europäischen Stadt gesehen werden sondern erfordert eine Sichtweise von Stadt, wie sie durch die vorliegende Textsammlung gefördert werden soll. Eine Sichtweise welche für denjenigen ganz von selbst eintritt, der ein städtisches Europa „erfährt“, wie man es sonst als Tourist oder Geschäftsreisender zwischen Stadtzentren und den ausgewählten Zielpunkten der Flughäfen, Firmensitze oder Universitäten nicht zu Gesicht bekommt. Es ist also weder eine Altstadt mit ihren angrenzenden, weniger homogenen Erweiterungsvierteln in Sicht noch die Metropole des Fritz Lang. Es ist die vertraute Stadt der Einfamilienhäuser und am Weg zu ihnen die vertraute Stadt der Einkaufscenter, der Hallen von Gewerbeparks und Fitnesscenter, der McDrives und Blumenstände, der Autohändler und Baumärkte, der Wiesen mit Kühen und Restflächen - über Stunden und Stunden und tausende Kilometer.

Das Haus im Mittelpunkt
Natürlich stellt sich während der Wahrnehmung, meist aus dem Blickwinkel des Autofahrenden, wieder und wieder die Frage, wie diese Abfolge von physischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen Komponenten in verschiedenen Maßstäben figuriert und im Raum realisiert Stadt sein kann, nachdem ihre dreidimensionale Verwirklichung in ihrer Heterogenität eine solche im klassischen Verständnis nicht zeigt. Hilfreich bei der Suche nach einer Struktur kann dabei F.L. Wrights Idealstadtentwurf "Broadacres" aus der ersten Hälfte (!) des Jahrhunderts sein, der die hier besprochene Entwicklung prophetisch vorwegnimmt - wenn auch in seiner amerikanischen Variante und mit teils anderen Motiven als Hintergrund: "Das wahre Zentrum, die einzige zulässige Zentralisierung in der Demokratie Usonias, ist das einzelne Haus." (3) schreibt Wright zu diesem Projekt, und meint damit, das Einfamilienhaus aus seiner Abhängigkeit von der Stadt zu befreien und zum Mittelpunkt des Lebens zu machen. Und das funktioniert allemal, auch als Fremder irgendwo zwischen Maribor und Almere, wenn man beim Cruisen in irgendeiner Stadtagglomeration wieder einmal bei einem Haus mit Garten angekommen ist, vorbei an den notwendigen Komponenten des europäischen Alltagslebens.
Denn nimmt man dieses Haus als Ausgangspunkt, als Mittelpunkt der darin lebenden Stadtbewohner, kann die Struktur, das Funktionieren dieser Stadt frei nach Robert Fishman an deren täglichen Handlungen nachvollzogen werden. Die Bewohner schaffen sich ihre Stadt anhand der Ziele, die sie innerhalb einer zumutbaren Zeit erreichen können. Das Muster, das diese Zielpunkte bilden, stellt für die betreffenden Personen "die Stadt" dar. Je größer die Zahl der Zielpunkte, um so reicher und vielfältiger ist die "Stadt" für die Bewohner, diese Stadt ist eine Stadt à la carte.

Und diese Stadt ermöglicht naturgemäß für viele Lebensbereiche ideale Möglichkeiten zur Verwirklichung individueller Lösungen: So kann der Gewerbe- oder Industriepark auf der grünen Wiese Hallen nach neuesten Erkenntnissen der Effizienz errichten und erweitern ohne vom Platz her eingeschränkt zu sein, die Lage wird nicht mehr von den wenigen Eisenbahnlinien bestimmt, sie kann irgendwo entlang der unzähligen Straßen gewählt werden. Das gleiche gilt analog für Einkaufszentren, Büroparks etc. also fast alle bisher sehr städtischen Funktionen, bis hin zum Wohnen, wie die eingangs erwähnten Beispiele aus Belgien und Holland beweisen, wo sich Einzelne aus völlig gegensätzlichen Motiven das Haus im Grünen als individuell beste Lösung des Wohnens gewählt haben. Die Freiheit, nach persönlichen Möglichkeiten sowie den vorhandenen Angeboten und Attraktivitäten einen eigenen Standort des Wohnens in der Stadt à la carte zu wählen und diesen Wunsch mit individueller Bildgestaltung zu verbinden, macht die Variante des Hauses mit Garten sicher auch in Zukunft für sehr viele Lebensstile zum idealen Wohnen in der Stadt.

100% Stadt
Die folgende Fragmentierung der Stadt(landschaft) ist hinlänglich bekannt, die Randbedingungen als Voraussetzung ebenso: Vorhandensein von Infrastruktur und Verkehrsanbindungen, eine bestimmte Attraktivität von Lage in Bezug auf Ressourcen, Ort, Naturraum usw. und letztendlich eine jeweils adäquate Möglichkeit Grundstücke zu erwerben und zu bebauen. Lokale sozialökonomische wie rechtliche Faktoren bestimmen das wie, wann und wie schnell. Und an den angesichts dieser schnellen Entwicklungen wohl allzu rational gedachten Zeigefinger der Bodenverknappung glaubt man nicht mehr, fährt man durch das Europa der Einfamilienhäuser und sieht man wie viel Platz dafür noch vorhanden ist.
So klischeehaft diese Zusammenhänge sind, so einfach das Funktionieren zu sein scheint, so ausgedehnt diese städtischen Flächen und so bevölkerungsreich diese Agglomerationen in Europa bereits heute sind und so selbstverständlich und vertraut diese Städte einem erscheinen, wenn man sie durchfährt - so viel Unverständnis und Unsicherheit lösen sie bei der Frage nach deren „planerischer“ Bearbeitung oder Steuerung aus. Zwischen einem resignativen oder abwertenden Laissez-Fair außerhalb der Zentren und dem nicht zu gewinnenden Kampf um die kompakte Stadt in Konfrontation mit einer natürlichen Entwicklung rund um sie herum finden sich Politiker wie Architekten und Stadtplaner oft gemeinsam in einem schwankenden Boot.

Viele Passagen dieser Publikation beschäftigen sich mit dieser nicht umkehrbaren Entwicklung unserer Städte und versuchen zuallererst die Logik dieses Prozesses verständlich und nachvollziehbar zu machen um somit eine natürliche Sichtweise auf eine neue, größere und vielfältigere Stadt zu ermöglichen. Eine Reise als fiktiver Bewohner vom eigenen Stadtzentrum aus, dem Haus mit Garten, zu den täglichen Zielen der städtischen Agglomerationen erleichtert diese Sichtweise ungemein.

Das neue Europa der Einfamilienhäuser findet man nicht nur in den dezentralen Städten des Ruhrgebietes oder in der Randstad Hollands, in der Region Stuttgart oder Sopron - es kann genauso gut in Grazland zwischen Andritz und Wildon gefunden werden, einer 100% Stadt übrigens.


(1): „Blicke über den postmodernen Tellerrand“ Architektur & Bau Forum 07 / April 2003
(2): „Heimlich / Eine Forschungsreise nach dem Traum vom eigenen Haus“ – Harald Saiko &János Káràsz –
Katalog im Verlag HDA
(3) „Usonien – When Democracy Builds“ Frank Lloyd Wright
Haus der Architektur Graz (Hrsg.)
100% Stadt
Der Abschied vom Nicht-Städtischen
Verlag Haus der Architektur Graz 2003

Belgien

Mechelen
Namur
Duffel
Koningshooigt
Flawinne
Brüssel
Waterloo
Tervuren
Zaventem

Deutschland
Regensburg
Frankfurt/M
Neutraubling
Wöllstadt
Niederweisel
Hamburg
Allermöhe
Braak
Siek
Flensburg
Ruhrgebiet
Bredstedt
Repelen
Kerken
Tönisen
Saarland
Dillingen

Frankreich
Lille
Querenaing
Famars
Reims
Metz
St. Quentin
Tinqueux
Maizieres
Veymerange

Holland
Beveland
Rotterdam
Biezelinge
Kapellen
Kaltendijke
Barendrecht
Amsterdam
Krimpen
Almere
S-Hertogenbosch
Berlicum

Italien
Verona
Modena
Bologna
Sirmione
Peschiera
Novantola
St. Agata
St. Giovanni
Longara
Padulle
Castello d'Argile
Ferrara
Portogruaro
Udine
Rovigo
Giai
La Sega
Basaldella

Luxembourg
Luxembourg
Senningen

Österreich
Graz
Seiersberg
Feldkirchen
Laßnitzhöhe
Traunsee
Linz
Gschwandt
Scharnstein
Fischböckau
Gunskirchen
Wels
Haid

Schweiz
Luzern
Altishofen
Dagmersellen

Slowakei
Bratislava
Jarovce
Mostova
Vozokany
Jahodna
Vrakun
Gabcikovo
Narad

Slowenien
Maribor
Ptuj
Rosnja
Skorba
Brezula
Razvanje
Maribor
Pekre
Ptuj

Ungarn
Györ
Sopron
Bacsa
Kisfalud
Köphàza
Balf
Sopron

Zurück