Architekturwirklichkeiten - Round table zum Status Quo

HDA Graz, am 26.Juni 2001

Christian Kühn: Wenn der sprichwörtliche „Mann von der Straße“ Sie auffordert, erfolgreiche steirische Architekturprojekte der letzten Jahre zu nennen – was fällt Ihnen dazu ein?

Günther Koberg: Ich würde nicht an ein Bauwerk denken, sondern an einen bestimmten steirischen Weg in der Architekturpolitik. Es ist ja kein Zufall, dass die Steiermark eine relativ große Dichte an qualitätvollen Bauten vor allem aus dem öffentlichen Sektor besitzt. Wir waren sicher eines der ersten Bundesländer, das versucht hat, durch Wettbewerbe von der Amtsplanung wegzukommen. Im Modell Steiermark sollte das komplexe System von Verwaltung, Politik und Planung neu organisiert werden, und das hat die „Grazer Schule“ erst möglich gemacht.

Wolfgang Feyferlik: Ich würde durchaus ein konkretes Projekt nennen: die Gewächshäuser im botanischen Garten. Für mich sind sie deswegen erfolgreich, weil sie unter sehr schwierigen Konstellationen gestartet wurden und viel Kritik am Architekten hängen geblieben ist, die eigentlich auf falsche Vorgaben zurückzuführen war. Aber heute hat der Entwurf nichts von seiner Kraft eingebüßt.

Dietger Wissounig: Ich gebe Günther Koberg recht, dass im Modell Steiermark erfolgreiche Einzelbauten entstehen konnten. Aber gerade wenn davon die Rede ist, dass dabei versucht wurde, eine neue Planungspolitik zu organisieren, fällt auf, dass es auf der städtebaulichen Ebene überhaupt keine Erfolge gegeben hat. Im Bereich des Städtebaus, der Stadtentwicklung, der Regionalentwicklung bis hin zur Landschaftsplanung hat es bei uns immer ein Riesendefizit gegeben, das aber überdeckt war durch den Erfolg der Architektur.

Gerhard Buresch: Ich kenne die Grazer Szene zwar nur aus der Distanz, aber ich habe den Eindruck, dass sich das oft zitierte steirische Architekturklima bei weitem nicht nur auf die Architekten beschränkt. Bei den Hochschulbauten, für die wir hier verantwortlich waren, gab es eine gemeinsame Stimmung, die solche Projekte überhaupt erst möglich macht, angefangen von der Definition des Programms. Damit der Benutzer am Ende zufrieden ist, muss das gesamte Team, das bei einem Bauvorhaben am Werke ist, sich auch menschlich verstehen. Das ist österreichweit alles andere als selbstverständlich, aber in der Steiermark sehr oft erreichbar. Das Studienzentrum auf den Inffeldgründen ist für mich ein sehr gutes Beispiel. Das war ein Wettbewerb, der einige Zeit zurück lag, und die BIG ist erst nach diesem Wettbewerb mit dem Projekt befasst worden. Da gab es die Sorge, ob die Planer mit den angeblich so rigiden Kostenvorstellungen der BIG zurechtkommen werden, aber wir haben das Projekt ohne Friktionen im Kostenrahmen und in der kürzest möglichen Bauzeit fertiggestellt.

Christian Kühn: Das heißt, es gibt nach wie vor eine breit verankerte Baukultur?

Gerhard Buresch: Ja, die viele umfasst, nicht nur die Architekten, sondern auch das breitere Umfeld bis zu den Nutzern.

Klaus Kada: Gesellschaftlich gefestigt ist die Rolle der Architektur deswegen noch lange nicht. Architekten werden immer mehr zu Exoten, die exotische Dinge verteidigen. Wir haben eine traditionelle Architekturausbildung und eine traditionelle Gebührenordnung, in der genau steht, welche Leistungen es gibt und wie die zu bezahlen sind. Aber mit der Wirklichkeit hat das nicht mehr viel zu tun. Das wird alles abgeschafft durch den wirtschaftlichen Druck. Es gibt ein paar Institutionen wie das HDA (Haus der Architektur Graz) oder die Architekturstiftung, die versuchen Architektur als allgemein gesellschaftlich wichtiges Element darzustellen, aber das wollen weder die Ministerien verstehen, auch die Länder und Städte nicht, und schon gar kein Bürgermeister oder eine der halbprivaten Institutionen, die KAGes (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m. b. H.) vielleicht ausgenommen. Wie man jetzt sieht, hängt alles von irgendwelchen personifizierten politischen Ansichten und von regionalen Wahlergebnissen ab. In der Steiermark ist das momentan eine Katastrophe. Es gibt bald in der ganzen Landesverwaltung und in der ganzen Stadt Graz keinen einzigen beamteten Architekten mehr, der etwas beurteilen kann. Architektur wird genauso bewertet und in der Leistung angesehen, wie die Montage eines Kanalgitters.

Dietger Wissounig: Aber das positive Grundklima ist nach wie vor da. Es ist sicher nicht mehr dasselbe Förderungsmodell wie vor 10 oder 15 Jahren, weil es ja eine Phase der Restriktion gab, in der wir auf Landesebene dieselbe Konstellation hatten wie heute im Bund, und da ist viel kaputt gemacht worden. Aber man sollte nicht jammern. Dass andere Institutionen - zum Beispiel die schon erwähnte KAGES - diesem Modell gefolgt sind, also Wettbewerbe zu machen, um die Architekturqualität zu erhöhen, ist ja ein Zeichen, dass es ein erfolgreiches Modell war. Das Krankenhaus Bruck an der Mur, das LKH Graz und das Krankenhaus Hartberg gehören sicher zu den besten Bauten im Land. Ich glaube, wir sind jetzt in einer Zwischenphase: Das Alte ist nicht mehr da, das Klima ist noch ganz gut, sowohl bei den Nutzern als auch bei der Verwaltung, zum Teil auch noch bei den Architekten. Was fehlt, sind neue Strategien, egal ob es jetzt Architektur im Objektbereich betrifft oder die städtebauliche Ebene.

Ute Woltron: Für mich klingt das aber ziemlich mager. Woher soll das Neue kommen, wenn es keine Ansätze zu neuen Strategien gibt?

Dietger Wissounig: Für die jüngeren ist das ein wichtiges Anliegen, vor allem im Städtebau. Da gibt es einen intensiven Diskurs und auch ein paar Erfolge im Sinne eines angestoßenen Prozesses: Graz-West oder der Süden von Graz. Dort gibt es ein riesiges Areal mit 250 ha zwischen Liebenau und der inneren Stadt, das ohne weiteres die Zersiedelung in den Seitentälern des Grazer Beckens verhindern könnte. Das braucht aber Partnerschaften mit den Umlandgemeinden, wie das in Salzburg passiert. In Graz ist das noch lange nicht so weit. Aber ich sehe doch einen Anstoß zum Nachdenken über Instrumente und Prozesse, und es gibt auch den Diskurs an der TU Graz bei einigen, ganz wenigen Professoren.

Petra Maier: Unter den Studenten ist die Debatte über die Strukturen im Moment das einschlagende Thema. Da ist der Städtebau ein mögliches Feld, aber es geht generell um neue Strategien in der Praxis. Da gibt es zwei Projekte, über die viel geredet wird, der Wohnbau in Maria Trost, und die Stadtmühle. Das sind Beispiele, bei denen die Architekten nicht für Bauträger Pläne gezeichnet, sondern mit Privaten ein Projekt entwickelt haben. Das ist eine neue Qualität.


Harald Saiko: Und eine Notwendigkeit. Günther Koberg hat gerade das steirische Modell oder besser gesagt dessen Nachwirkungen verteidigt. Von denen habe ich als junger Architekt heute wenig. Um in diese Wettbewerbsschiene hineinzukommen, braucht man Vorleistungen, eine Bürobasis, Leistungskapazitäten etc. Da entstehen geschlossene Kreise. Für die Jungen gibt es die Möglichkeit, nach Wien abzuwandern - das ist ein Phänomen, das wir seit 5 Jahren massiv spüren - und die Möglichkeit, mit eigenem Finanzrisiko relativ wahnwitzig ein Wohnbauprojekt zu entwickeln, zu planen und zu verkaufen. Das ist vielleicht ein Extrem, da gibt es viele Kombinationen. Aber es gibt es keine strategische Unterstützung für solche Initiativen.

Günther Koberg: Immerhin sind diese Projekte mit Wohnbauförderung entstanden.

Harald Saiko: Das verstehe ich nicht unter einer Strategie zur Förderung von Qualität.

Ernst Giselbrecht: Die Politik hat sich aus dem Wohnbau, aus dem qualitätvollen und engagierten zumindest, komplett zurückgezogen. Aber es hat sich gezeigt, dass die Vorbildwirkung der Bauten, die früher einmal passiert sind, doch stark auf Private abgefärbt hat. Auch wenn die sich dem offiziellen Wettbewerb entziehen, beauftragen sie doch oft Vorentwürfe verschiedener Kollegen. Für kleine Büros ist es fast nur noch so möglich zu Aufträgen zu kommen, während früher viele Büros über öffentliche und halböffentliche Aufträge starten konnten.

Christian Kühn: Kann man das so zusammenfassen, dass es im Modell Steiermark eine Progressivität von oben gab, mit einem deutlichen paternalistischen Akzent, die sich aus verschiedenen Gründen – nicht zuletzt durch die neuen Vergabespielregeln der EU – totgelaufen hat beziehungsweise zwischen die politischen Fronten geriet?

Gerhard Buresch: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie das paternalistische Moment positiv sehen? Ich bin eher glücklich, dass uns niemand hineinregiert.

Christian Kühn: Eine Zeit lang war das Modell hier sicher erfolgreich. Aber auf längere Sicht halte ich es auch für problematisch: Wenn die Falschen an den Schaltstellen des Systems sitzen, dann bricht es sehr schnell zusammen.

Gerhard Buresch: Ich bin überzeugt davon, dass man in aller Regel den oder die Planer in Konkurrenz zu suchen hat. Aber zumindest das öffentliche Bauen hat ja dank der Vergabegesetze derartig rigide Vorgaben, dass ein Gutteil an geistiger Energie des Bauherren dafür eingesetzt werden muss, im Vorfeld der Wettbewerbe irgendwelche Drehs und Tricks zu finden, um am Ende des Weges doch ein anständiges Projekt mit einem vernünftigen Planer zustande zu bringen. Wir haben es lange versucht mit den sogenannten Gutachterverfahren, und das hat den Erfolg gehabt, dass sich der Kreis der Teilnehmer im Lauf der Zeit einschränkt. Das ist und war nicht befriedigend. Wir versuchen jetzt bei einem Projekt, der Erweiterung der geologischen Bundesanstalt in Wien, ein anderes Modell: europaweiter offener Wettbewerb, anonym, und daran anschließend ein Verhandlungsverfahren. Angeblich soll das zulässig sein. Wenn wir an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Preisträger zweifeln, dann könen wir verlangen, dass sie eine Kooperation eingehen, und ich hoffe, dass die Kollegen auch bereit sind, in solche Dinge einzusteigen. Wenn ein junger Kollege sich einbildet, ein großes Vorhaben allein irgendwo durchziehen zu können, dann wird das kritisch.

Dietger Wissounig: Das hat bei uns im Wohnbau begonnen, dass man ab der Einreichung abmontiert wird. Wenn ich mir England oder Frankreich anschaue, da wird Hochbau ganz anders betrieben, da ist es unvorstellbar, dass der Architekt nicht von Beginn bis zum Ende dabei ist.

Gerhard Buresch: Ich habe ja nichts dagegen. Bei den 80 Bauvorhaben, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, waren nur Architekten Generalplaner, Architekten mit unterschiedlichen Qualifikationen. Wir haben niemanden abmontiert, aber – und das ist jetzt ein Vorwurf, den ich vielen unter den Kollegen machen muss – nur wenige sind imstande, dieses Generalplanertum auch zu leben.

Ute Woltron: Diese Generalplanerkompetenz kann ein junges Büro doch kaum haben. Führt das nicht letztlich zu völlig veränderten Strukturen, in denen ZV-GesmbHs  wie  die Architektur-Consult die Landschaft prägen?

Klaus Kada: Heute will jeder junge Architekt ein Riesenbauwerk machen, während wir mit kleinen Aufträgen begonnen haben, bis ein Büro sich eine gewisse Qualifikation erarbeitet hatte. Natürlich hat eine Institution wie die KAGES mit ihrer perfekten Bauorganisation keine Freude, wenn ein junger bei einem Wettbewerb gewinnt und sie einen zweiten Architekten braucht, der das dann umsetzt. Aber die Generalplaner, die sich einbilden, über die Kosten Bescheid zu wissen, die haben meistens überhaupt keine Ahnung, weil sie vom Hochbau nichts verstehen. Die kennen drei Materialien: Beton, Asphalt und ein Brückengeländer. Und solche Ingenieure bekommen die Generalplanung für extrem komplexe Hochbauten.

Gerhard Buresch:. Wenn das Wort Generalplaner schlecht besetzt ist, dann sprechen wir halt von Allianzen: dass man bereit ist, gemeinsam Leistungen anzubieten. Architekten sollten weiterhin übergeordnete Kompetenzen haben. Aber man muss weg davon kommen, dass jeder Architekt, jung oder alt, die gesamte Palette anbieten kann.

Klaus Kada: Verstehen Sie, worauf das hinausläuft: Einreichplanung plus künstlerische Oberleitung, das ist der Tod der Architektur! Die Ingenieure, die als Generalplaner auftreten, sind willfährige Erfüllungsgehilfen, die sich dem wirtschaftlichen Druck beugen.

Gerhard Buresch: An denen sind wir als BIG aber nicht interessiert. Ich verlange einfach von einem Architekten, dass er abschätzen kann, was sein Projekt kosten wird, auch in den Folgekosten. Das ist nicht unkeusch. Bitte um Verständnis, dass wir bei unseren Wettbewerben zumindest den Versuch unternehmen, halbwegs zu diesem Ziel hinzukommen. Es ist überhaupt kein Problem, sogar aus dem Maßstab 1:200 eine Energiekennzahl nach Norm zu errechnen. Aber da bekommen Sie von den Kollegen Angaben dazu, die so pervers sind, dass man sich wirklich überlegen muss, ob diese Leute noch halbwegs Bodenkontakt zum Bauen haben, um ein Projekt in einer Größenordnung von ein paar hundert Millionen Schilling zu realisieren.

Harald Saiko: Die jüngere Generation ist sicher bereit, Allianzen einzugehen, oder, um eine andere Formulierung zu verwenden, weil mir Allianz zu strategisch klingt, vielfältigere Kooperationen.

Klaus Kada: Es werden neue Kupplungen nötig sein, auch in der Privatwirtschaft weiterhin Auftraggeber zu finden. Dort erlebe ich eine unglaubliche Angst, nur den Architekten ausgeliefert zu sein. Das ist die größte Angst. In solchen Kupplungen können verschiedenste Sparten mitwirken, Wirtschafter, Kostenrechner, aber auch Theaterleute, Filmleute, alles mögliche. Das wird auch die Ausbildung an den Universitäten massiv verändern, auch wenn die das heute noch nicht begreifen.

Petra Maier: An der TU Graz  wird noch ein Architekturbild vermittelt, das 20 Jahre alt ist, so als ob alles irgendwie beim Alten bleibt, und jeder sich irgendwann selbstständig machen wird. Das ist auch einer der Gründe, warum man sich nach Wien orientiert, wo es dort auch Kunsthochschulen gibt, an denen andere Themen diskutiert werden. Wir versuchen im Forum Stadtpark seit 1 1/2 Jahren eine Diskussion ins Laufen zu bringen, der eigentlich an der Uni längst stattfinden sollte.

Wolfgang Feyferlik: Ich möchte noch einmal auf die Kupplungen zu sprechen kommen, die Klaus Kada erwähnt hat. Wir haben ja in Graz mit der Stadthalle ein Beispiel, wo man im Lauf des Projekts immer mehr dahinterkommt, dass im Vorfeld der Planung, wo solche Kupplungen am nötigsten wären, nur schwache Leute daran gesessen sind. Und dabei soll dieses Projekt eine ganze Reihe von Problemen der Stadt lösen. Von dem Anspruch des Modells Steiermark, Verwaltung, Politik und Planung neu zu organisieren, ist bei diesem Projekt in der Grundsubstanz nichts mehr zu spüren.

Klaus Kada: Die Stadthalle zeigt, wie im Moment politische Entscheidungsprozesse laufen. Da wird ein Wettbewerb ausgeschrieben, und auf meine Frage bei der ersten Anhörung, wer denn der Bauherr ist, zeigt die Stadt auf die messe und vice versa – und das vor einem internationalen Gremium. Es war nicht festgelegt, wer der Bauherr ist.

Wolfgang Feyferlik: Man hat den Architekten im Wettbewerb zu verstehen gegeben, das geht sie nichts an.

Klaus Kada: Auslöser für das Projekt was das Faktum, dass Graz 2003 europäische Kulturhauptstadt sein wird, also muss etwas geschehen. Und zwar an einem Standort, wo schon jahrelang überlegt wird, ob der noch geeignet ist für die Messe. Wenn man sich das Raumprogramm angesehen hat, dann war klar, dass in dieser Stadthalle die Messefunktionen noch ungefähr 10% ausmachen, und deshalb war es schon suspekt, wieso die Messe der Betreiber werden soll. Wenn man das Raumprogramm richtig deutet, dann kann man abschätzen, wie so etwas betrieben werden muss und was es kostet. Und da fängt die Gegnerschaft zu den Architekten an. Wenn wir sagen, dass kann man zu diesem Preis nicht machen, dann heißt es, die Architekten sind zu teuer. Aber Tatsache ist, dass die Politiker nur die Hälfte der Kosten angeben, um das Projekt durchzubringen. Das ist eine berühmte steirische Methode. Da wird gelogen wie gedruckt – in den Baukosten und in den Betriebskosten – nur damit man das einmal einsetzt. Der ganze Prozess ist von vornherein schief gelaufen, und  zwar politisch angezettelt, mit einem irren Aufwand an Geld und Zeit. Da sitzen 20 Leute am Tisch ohne jedes Ergebnis, oder es werden blödsinnigste Sachen bestimmt, nur weil sie politisch durchsetzbar sind.

Christian Kühn: Das klingt stark nach einer Forderung nach weniger Staat.

Gerhard Buresch: Nein, nur nach mehr Ehrlichkeit.

Harald Saiko: Im Grunde ist es egal, ob es der Staat macht oder ein Privater. Das Schlagwort ist Projektentwicklung, das Moderieren von Abläufen, die Planung der Planung schon im Vorfeld. Dazu gab es ja früher eine eigene Landesfachabteilung.

Klaus Kada: Die recht gut funktioniert hat. Aber mit der Projektentwicklung kommen eben Wahrheiten ans Licht, die dann politisch nicht so leicht vertretbar sind. Die Abteilung wurde aufgelöst, weil die Politik gedacht hat, dadurch einfacher entscheiden zu können. Und dann werden die Dinge so lange zu Tode diskutiert, bis die nächste Legislaturperiode kommt.

Gerhard Buresch: Die Frage ist nur, wer wirklich etwas von Projektentwicklung versteht. Gelehrt wird das nirgends, und bei all den politischen Implikationen braucht man dafür viel Erfahrung.

Klaus Kada: Es gibt in Deutschland Architekturbüros, die sich in diesen Bereich entwickelt haben, mit kommunalen und privaten Auftraggebern. Die entwickeln das Programm, übernehmen die Auswahl der Architekten, indem sie Wettbewerbe durchführen, und moderieren auch den politischen Prozess.

Gerhard Buresch: Das setzt aber einen hohen Aufwand voraus.

Ernst Giselbrecht: Wir haben im letzten Jahr solche Büros zu Vorträgen ins HDA eingeladen. Da war von einem Prozent der Bausumme die Rede.

Wolfgang Feyferlik: Ob das Architekten sein müssen, die diese Rolle übernehmen, weiß ich nicht. Thomas Held, der das Kultur- und Kongresszentrum Luzern gegen alle Widerstände durchgesetzt hat, war jedenfalls kein Architekt. Das muss ein Moderator sein, der die Verbindung zwischen Bauherrn, Architekten und der Öffentlichkeit herstellt.

Petra Maier: Auch ein öffentlicher Bauherr muss sagen können, was sein Anliegen ist und dafür die nötigen Mittel bereit stellen. Mein letztes Jahr als Geschäftsführerin des Forum Stadtpark habe ich zu einem gar nicht kleinen Teil damit zugebracht, der Stadt und dem Land klar zu machen, dass dieses wunderschöne neue Haus auch bespielt werden muss. Die sind nach der halben Bauzeit draufgekommen, dass es kein Geld für Möbel gibt, für Kabel, und dass man ein Stockwerk mehr auch heizen muss. Die Stadthalle oder das Kunsthaus gehen in ganz andere Dimensionen, aber ich höre dort dasselbe: Keiner weiß eigentlich, wie man das wirklich bespielt, und wer letztlich die Kosten trägt.

Wolfgang Feyferlik: Ich halte es für gefährlich, eine neue Schichte einzuziehen, die für all diese Dinge zuständig sein soll und so der Politik die Verantwortung abnimmt. Das sind dann meistens doch Berufskollegen, und da gibt es dann Hörigkeiten, weil es einen ungeheuren wirtschaftlichen Zwang gibt.

Harald Saiko: Das ist ein Missverständnis. Die Politik darf nicht aus der Verantwortung gelassen werden, es geht um eine neue Form der Bauherrenvertretung. Das kann meiner Ansicht nach nicht mehr das Amt sein und auch nicht mehr die Berufskollegen – nach dem Motto: geh‘ macht’s mir schnell ein Raumprogramm – , sondern das ist ein eigenes Berufsbild.

Klaus Kada: Bei der Stadthalle mache ich im Moment das Marketing, das Raumprogramm, die Wirtschaftlichkeit, ich versuche darzustellen, was die Halle im Betrieb kosten wird. Ich versuche als Immobilienhändler vier Geschoße auf den Turm hinaufzubringen. Das sind Leistungen, die muss ein Architekt heute offenbar als Gesamtorganisation in der Planung erbringen können. Er muss nicht unbedingt die Bauleitung machen. Es gibt Architekten, die wollen sich nicht um Details kümmern, weil das Konzept stark genug ist, dass es alles aushält. Und es gibt Architekten, denen das ein Anliegen ist, die sollen das machen. Aber auf jeden Fall muss eine schützende Hand über dem Projekt liegen, auch wenn das furchtbar poetisch klingt. Das heißt, es muss einen Verantwortlichen geben, der sich mit dieser Aufgabe identifiziert.

Günther Koberg: Es muss auch ein politisches Bekenntnis zur Rolle der Architektur geben, ein Architekturprogramm wie in Finnland oder in Holland, das ist eine Art schützender Hand auf einer höheren politischen Ebene. Das gibt es bei uns nicht, dass sich ein Kulturminister des Themas annimmt,  vielleicht sogar zusammen mit einem Wirtschafts- und einem Bautenminister. Das muss von der Erhaltung des Kulturerbes bis zu den zeitgenössischen Dingen einen Bogen spannen.

Harald Saiko: Dass in Österreich in den nächsten 20 Jahren jemand Architektur als Kulturprogramm ausruft, vielleicht sogar die wichtigsten Ministerien, die Hoffnung habe ich einfach nicht, und das soll nicht einmal ein Vorwurf sein.

Wolfgang Feyferlik: Durch Privatisierungen und Auslagerungen würde das ja auch immer weniger greifen. Da werden doch eine Fülle von scheinbaren Privatfirmen geschaffen, die sich an überhaupt nichts mehr gebunden fühlen, die steirische Thermenholding zum Beispiel. Nach fünf Winkelzügen kommt man dahinter, dass sie zu mehr als 50% dem Land gehört, aber als öffentlicher Auftraggeber fühlt sich dort niemand.

Gerhard Buresch: Das hat mit Fühlen nichts zu tun. Man ist in dieser Konstellation dem Vergabegesetz unterworfen mit allen seinen Nachteilen. Ich halte das überhaupt nicht für einen Vorteil.

Günther Koberg: Aber es geht um den baukulturellen Auftrag.

Gerhard Buresch: In welchem Gesetz soll der verankert sein? Wenn ich Architektur per Gesetz verordnen muss, dann tun mir alle leid, die hier sitzen.

Ernst Giselbrecht: Es geht nicht um Verordnung, sondern darum, dass man die baukulturelle Verantwortung  zum Programm erklärt. Es gibt ein Kulturprogramm, und da gehört auch die Architektur hinein. Wir brauchen ein Programm, in dem Ziele stehen, die bei konkreten Projekten zur Argumentation für Qualität herangezogen werden können. Dass wir kein solches Programm haben, ist auch einer der Gründe, warum es im Städtebau so wenig Ansätze gibt, von den Verkehrsfragen bis hin zu den Einzelprojekten, wie die in die Stadt gesetzt und miteinander vernetzt werden. Das braucht eine gesamtkulturelle Basis.

Harald Saiko: In meiner Generation tun wir uns etwas schwer mit dieser Vorstellung von Architektur als Kulturprogramm. Im Inhalt sind wir uns einig, aber vielleicht müssen wir mehr mit der Sicherung des Standorts argumentieren oder mit bestimmten Qualitätssicherungen des Bauwerks. Es ist ja ein Phänomen, dass es unserer Branche nicht gelingt, den Architekturwettbewerb, ein bis zur Selbstausbeutung aufwendiges Ausleseverfahren, als Maßnahme zur Qualitätssicherung darzustellen. Das würde heute wahrscheinlich mehr bringen als das Mascherl der Kultur.

Dietger Wissounig: Ich frage mich überhaupt, ob das, was wir hier diskutieren, auch für die Gesellschaft relevant ist, nicht nur für die Architekten.

Klaus Kada: Die Gesellschaft interessiert sich zunehmend für das Zweidimensionale. Die neuen Medien sind inzwischen viel wichtiger als der Raum, obwohl doch alle über den Raum das Bild machen. Wohnbau ist zum Beispiel in der Öffentlichkeit als Thema viel weniger wichtig als die neuen Medien. Sonst würde doch niemand akzeptieren, dass heute in der Steiermark in so einem wichtigen Bereich nur noch ab 50 Wohneinheiten ein Wettbewerb durchgeführt wird. Das machen wieder alles die Genossenschaften, und niemand regt sich darüber auf. 

Petra Maier: Ich mache mich jetzt wahrscheinlich sehr unbeliebt bei den Kollegen, aber meiner Ansicht nach fehlt den meisten jedes politische Verständnis und Interesse. Wenn man mit Studenten diskutiert, die nicht wissen, wie der Grazer Kulturstadtrat heisst, darf man sich von dieser Seite nicht viel erwarten.

Ernst Giselbrecht: Ich war letzte Woche an der TU bei einer Jury der besten Diplomarbeiten. Es gibt eine große Zahl von Projekten, die mit dem traditionellen Architekturbegriff nichts mehr zu tun haben wollen. Das ist Bildschirmarchitektur, eine Auseinandersetzung mit Oberflächen. Konventionelle Projekte wirken da fast wie Exoten, und sie sind teilweise völlig unbeherrscht in der Architektur.

Klaus Kada: Der Trend geht eindeutig in diese Richtung: Architektur ist nur mehr Oberfläche, Haut. Was sich drin abspielt, ist völlig gleichgültig. Der Architekt macht eine Innenhaut und eine Außenhaut, und dazwischen packen die Ingenieure ihre Technik. Ich sehe da eine Parallelität zu den Themenparks, Shops, zum temporären Design, das hat alles mit Dekoration zu tun. Die Haut kann technisch durchaus interessant sein, da gibt es neue Materialien, Fasern, Membranen. Das fasziniert. Aber das soziale Engagement, Architektur zu machen für Leute, die da drin wohnen, der ganze Ballast mit der Partizipation – interessiert das die jüngere Generation? Meiner Ansicht nach ist diese Generation apolitisch bis zum Exzess.

Dietger Wissounig: Ich glaube, dass die Konkurrenz unter den Jungen heute wesentlich höher ist als bei Eurem Berufsstart. Und deshalb versuchen viele sich mit Mitteln, die nicht primär aus der Architektur kommen, sondern etwa aus der Werbung, einen Namen zu machen. Daher kommen auch die Aufgaben, mit denen viele heute beginnen: Temporäre Installationen, Shops, Design. Das heißt aber nicht, dass die Jungen eine Angemessenheit der Architektur im Wohnbau oder im Detail nicht genauso schätzen. Sie haben einfach nicht die Aufträge dazu, und das wilde Engagement für Aufgaben, die für Dich Randbereiche sind,  ist vielleicht nur ein Katalysator, um zu diesen Aufträgen zu kommen.

Harald Saiko: Ich glaube, dass mittelfristig die gesellschaftliche Relevanz immer gefragter wird. Die Architekten, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen, werden sich in ein paar Jahren vor Aufträgen nicht retten können. Dass anspruchsvolle Architektur auch in einem kommerziellen Umfeld standhalten muss, ist uns heute völlig klar. Aber es kommen gesellschaftliche Umwälzungen auf uns zu, die von der Architektur eine Antwort verlange. Das geht dann nicht von heute auf morgen, dass man sagt, ich mach‘ jetzt Projektentwicklung. Das sind Berufsfelder, die man sich langsam erarbeiten muss. Ich sehe da ein extremes Zukunftspotenzial für unsere Branche.

Ute Woltron: Wir danken für das Gespräch.

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