Engagement - Harald Saiko im Interview mit Manuela Hötzl
für podroom ISZW, 2001
MH: Du bist selbständiger Architekt und seit eineinhalb Jahren als Vorstand des Hauses der Architektur in Graz für das Programm zuständig. Wie stehst du als Vermittler und auch Ausführer von Architektur zur Architekturszene?
HS: Das ist eine Generalfrage. Zuerst nur soviel: Das Haus der Architektur in Graz ist das erste Architekturzentrum dieser Art in Österreich, gegründet glaub ich 1988, und ich bin schon seit 10 Jahren dort immer wieder aktiv, beginnend damals als Studentenvertreter. Seit eineinhalb Jahren haben wir im Vorstand die Organisation und Struktur des Vereins komplett umgekrempelt, dazu gehört dass wir ab nun immer über 2 Jahre ein inhaltliches Programm konzipieren und durchführen, welches zB 2000 und 2001 läuft und an welchem ich natürlich massiv beteiligt bin.
Das andere, das es in diesem Zusammenhang zu klären gäbe, wäre der Begriff der Architekturvermittlung, der in letzter Zeit „en vogue“ geworden ist. Man kann jetzt über Kommunikation auf allen Ebenen reden oder über das was in der Architektur passiert ist,oder über Architekturvermittlung – was darfs denn sein?
MH: Mich interessiert deine Position dazwischen. Du arbeitest als Architekt und du arbeitest als Organisator von Veranstaltungen. Deswegen nehme ich an du willst Inhalte zu vermitteln.
Welche Inhalte ?
HS: Wieder zuerst: Das Vermitteln von Inhalten ist ja schon ein weiterer Schritt, auf den möchte ich es nicht reduzieren, auch nicht in unserer Diskussion. Das HDA zB ist ja entstanden aus einer Szene, die etwas aufstellen wollte, aus Interesse an der Architektur, den internationalen Strömungen usw., das HDA war in erster Linie ein Kommunikationsforum für die Grazer Architekturszene. Aber natürlich wollte man damit – mit den Themen, der Architektur, dem Städtebau - auch hinaus in die Öffentlichkeit, in die Politik und Verwaltung, aus der Überzeugung dass dies für die Gesellschaft wichtig ist. Das ist bei uns schon aus dem Studium und dem Arbeiten im Zeichensaal entstanden, wo zumindest einige glaubten, das es wichtig ist für die Gesellschaft ein Thema zu verfolgen. So sind wir immer weiter gekommen, und das is dann auch eine Art von Vermittlung.
MH: Und welches Thema ist für dich gerade wichtig?
HS: Es ist immer irgendwas wichtig, solange man glaubt, dass die „Architektur“ wichtig ist.
MH: Und konkret!
HS: OK, kommen wir zurück auf Deine Frage vorher nach den Inhalten, die wir vermitteln wollen, als Beispiel: Wir haben uns als Team im HDA in diesen zwei Jahren die Frage nach dem „Wert“ von Architektur gestellt. Also generell über das, was zu einer Bewertung von Architektur führt. Das geht nicht von dem Gedanken aus, ob es den Architekten gut oder schlecht geht oder ob jemand ein Star ist oder nicht, sondern es zählt letztlich, WIE etwas von WEM bewertet wird. Und diese Wertbegriffe sind nicht Dogmen, meine ich, sie ändern sich über die Jahrhunderte, Jahrzehnte, heutzutage immer noch schneller. In letzter Zeit, und das ist auch nichts Neues, gibt es wieder einen starken Diskurs über die Wertveränderungen, von der Philosophie herunter in alle möglichen Bereiche der Gesellschaft. In unserem Fall heißt das als Symptom dann Berufsbilddebatte, weil die Veränderungen der Wertsysteme zu Veränderungen der Mechanismen führen und somit natürlich eine Umwandlung und Veränderung des Berufsbildes erfolgt, obs der Einzelne nun merkt oder nicht, die meisten merkens ja eh stark zur Zeit. Soweit zum Thema „Inhalte“ ganz kurz, man könnte solche Beschäftigungen in der Architektur vielleicht auch als Grundlagenforschung bezeichnen. Es wird heuer übrigens noch eine Zusammenfassung in Form eines Buches über diese Inhalte zum Thema „Wert der Architektur“ erfolgen, sozusagen als unser Beitrag zum Architekturdiskurs, falls es wen interessiert. Die Vermittlung für mich oder für uns als Architekten, die wir diese Themen bearbeiten, hinterfragen, kommunizieren ist die Draufgabe. Aber das soll nicht abwertend klingen, wenn etwas an die KollegInnen, PolitikerInnen, Interessierte die mit Architektur zu tun haben, vermittelt wird, ist das schon eine enorm wichtige Aufgabe. Wir können heutzutage nicht im stillen Kämmerlein agieren und Elfenbeinturmforscher sein, wollen wir gesellschaftsrelevant überleben.
MH: Im Gegensatz zu Wien gibt es in Graz zur Zeit ganz wenige Gruppen oder Büros aus der sogenannten „jungen Szene“. Wie sieht man das als Architekturvermittler? Gibt es eine Bewertung?
HS: Den Begriff Architekturvermittler verwendest Du wohl gerne. Wenn wir darüber reden „Werte“ irgendeiner Art zu vermitteln, muss man das Wort „Architekturvermittlung“ etwas herausnehmen. Das ist ein eigenes Thema, wie gesagt eine eigene Tätigkeit, wie Kunstvermittlung oder Kulturvermittlung, fast pädagogisch und erst am Schluss der Produktionskette.
MH: Das funktioniert aber nicht. Es funktioniert in der Kultur, vielleicht, in der Architektur funktioniert nicht.
HS. Irgendwo und irgendwie funktioniert es in der Architektur auch. Architektur produziert ja eine Bilderflut wie noch nie in der Öffentlichkeit. Und es gibt Publikationen wie noch nie. Also, dass es gar nicht funktioniert stimmt so nicht. Die Frage ist eher für wen funktioniert es wie gut. Oder für wen funktioniert es wie schlecht, und welche Art der Vermittlung ist das nun, welche Inhalte werden damit transportiert?
MH: Und wie differenzierst du das jetzt, diese Bilderflut und die Grazer Abwanderung nach Wien, wo sich eine Gruppenszene bildet?
HS: Von wegen Bilderflut und Publikationen passt die Überleitung zum Thema Gruppenszene jetzt vielleicht besser: Dazu gibt es drei Dinge zu sagen. Erstens hat es immer schon Gruppen gegeben, man denke nur an die sixties, samt den dazugehörigen Labelnames, so neu ist die Strategie also nicht. Und das Zweite ist, dass grundsätzlich die Architektur im Soge von Marketingstrategien oder Verkommerzialisierung einen weiteren, scheinbar neuen Stellenwert bekommt. Das ist gut. Aber ich würde davor warnen, das als die große Lösung für die „Architektur“ zu sehen oder als einziges Zukunftspotential. Ich glaube, dass wird sich in Zukunft auf gewisse Bereiche beschränken, wo es sinnvoll ist. Das ist auch schon der Fall, wie bei den Shopdesigns, wo Kommerzialisierung eine Rolle spielt. Ich finde es durchaus richtig, dass die zeitgenössische Architektur auch solche Felder besetzt. Ich sehe es aber als ein Feld unter vielen. Und drittens, was ich dabei kritisch sehe, ist, das diese Szene jetzt alles andere überdeckt. Es ist „hipe“, aber für mich nicht der Schwerpunkt der Zukunft. Ich habe daher für mich einen einzigen Jahresvorsatz gefasst: Ich bin jetzt hemmungsloser Moralist, in Zeiten des any, wie anything goes irgendwie, wenn mans nur verkaufen kann. Wenn die Architektur irgendwelche nachhaltigen Verantwortungen für die Gesellschaft haben will, und das muss sie meiner Meinung nach unbedingt und unaufhörlich, kann es nicht nur in einem Bereich funktionieren. Dann kommt vieles andere dazu an Betätigungsfeldern der Architektur und dann kommt man am Schluss wieder zur Vermittlung von gesellschaftsrelevanten Inhalten, die aber meiner Meinung nach nicht dazu dienen soll, eine andere Form der Auftragsbeschaffung zu sein: Nämlich: Zeige ein schönes Bild, heutzutage Rendering, und begeistere jemanden womöglich durch hemmungsloses Publizieren und bringe ihn dazu einen Auftrag zu verschaffen - das ist ein Randbereich im Gesamtanliegen. Architekturvermittlung sollte schon hauptsächlich dazu dienen, den Stellenwert von Architektur in all seinen zeitgenössischen Qualitäten den Entscheidungsträgern, der Bevölkerung zu vermitteln. Aber das ist ja eh das alte Thema der Architektur.
MH: Du hast jetzt von Moral gesprochen, mir aber auch von einem gewissen Frustrationsgrad berichtet, den du erreicht hast. Betrifft das die Leere der Grazer Szene, mit Blick auf Wien?
HS: Es hängt damit zusammen, aber nicht so wie Du es da sagst, klingt ja nach Neid auf Wien, und den hab ich sicher nicht. Zu diesem Thema: Was ich hier aus der Provinz sehe, sind nur Bilder und dazugehörige Namen, die über die Medien natürlich hochgespielt werden. Ob etwas dahinter steckt, wie irgendeine Art von Solidarisierung oder gemeinsam an der Verbesserung der Gesamtsituation zu arbeiten, sehe ich von hier aus nicht, weil mir einfach der Einblick fehlt. Wenn es passiert, dringt es zumindest nicht an die Öffentlichkeit, oder nicht über die Grenzen bis in die Provinz. In Graz gibt es diese Gruppen bis auf ein oder zwei derzeit nicht. Sie sind entweder schon nach Wien ausgewandert oder noch auf Studentenebene zu finden, die versuchen, in diesem Sog ähnliche Mechanismen anzuwenden. Das beurteile ich eher kritisch, weil halt zwischen probieren möchten und dauerhaft was in einer gewissen Qualität produzieren und noch davon leben ein bissl Unterschied ist. Ich habe aber schon das Gefühl, dass das Entstehen einer Szene über die Gruppen und über die Bilder dazu führt, dass diese Szene in irgendeiner Art und Weise zusammenkommt, vielleicht ist das halt eine neue Form der Solidarität. Allerdings ohne gemeinsame Verantwortung für das Gesamtprojekt „Architektur“ in seinen vielen Ausformungen. Aber ich würde mich gerne belehren lassen, wenn’s doch tiefer ginge. Und zur angesprochenen Frustration: ich würde es nicht Frustration nennen, es ist eher naiv und romantisch zu glauben, dass alle Architekten, die an innovativer Architektur interessiert sind, auch bereit sind gemeinsam etwas dafür zu tun. Viele von denen, die durchaus an zeitgenössischer, qualitätvoller Architektur arbeiten, wollen nur Erfolg und Bauen und sich um den Rest nicht kümmern - dann muss man sie auch lassen, das war denk ich immer so.
Und dann gibt es die, die ein Mehr an Verantwortung übernehmen, an der Gesellschaft, im Sinne einer Solidarität. Aber die werden offensichtlich weniger, in Zeiten der Unbescheidenheit und Erfolgsgier, des wirtschaftlichen Drucks und so weiter. Da hab ich zugegebenermassen vielleicht eine gewisse Frustration, weil als Engagierter mit einem gewissen Idealismus wird man ja geradezu verdächtig heutzutage. Es macht aber schon Sinn, sich auf die paar verbleibenden Engagierten konzentrieren und zu versuchen, diese zu einer aktiven Gruppe zu formen, das ist die Läuterung, die ich jetzt meiner Frustration gegenüberstelle. Man muss es wahrscheinlich aufgeben, alle auf eine Plattform bringen zu wollen, denn manche wollen oder können einfach nicht, weil sie das notwendige Mindestmaß an Uneigennützigkeit einfach nicht mitbringen.
MH: Gibt es noch Inhalte hinter den Bildern?
HS: Es steht nicht automatisch hinter jedem Bild ein Inhalt. In Graz zum Beispiel hat es eine Szene gegeben, die hauptsächlich politisch gestützt war. (Anm.: Die politische und auftragsmässige Förderung durch das Land Steiermark, welche zur Hochblüte der sog. Grazer Schule in den späten 80ern und frühen 90ern geführt hat) Als diese politische Unterstützung weggefallen und im Gegenteil in politische Ablehnung umgekippt ist, sind alle jüngeren geflüchtet. Das ist symptomatisch. Wenige halten scheints durch, ohne viel Geld und politischen Background von oben, um ihre Inhalte architektonisch umzusetzen.Natürlich sind die in Graz geblieben, die ihre Büros etabliert hatten. Das ist die Generation der jetzt 40 bis 45-jährigen, die zu dieser Zeit gerade noch starten konnte und ja auch zeigt, dass man nach wie vor engagiert arbeiten kann, wenn man kann und will, Beispiel Riegler/Riewe oder Hans Gangoly und viele andere. Die Generationen darunter flüchten, weil es sich scheinbar nicht mehr lohnt. Obwohl ich glaube, dass das Klima, relativ und im Vergleich zu anderen Bundesländern, immer noch sehr gut ist. Die Beamten sind die gleichen geblieben und der Stellenwert von Architektur ist als Begriff schon noch vorhanden. Aber man müsste sich mehr auf sich selbst verlassen. Die Politik vom Wert der Architektur zu überzeugen wäre weiterhin eine Thema, nur sollte jeder ein wenig mehr tun, als sich selbst zu verkaufen. Ich sehe nicht, dass die meisten Boygroups oder Einzelpersonen, die im Fahrwasser des neuen Erfolges schwimmen, wirklich irgendwelche schlüssigen Aktionen für die Allgemeinheit zustande bringen, welche naturgemäß langwierig, mühsam und unbedankt wären.
MH: Geht es da vor allem um Eigen-Marketing?
HS: Marketing soll jeder machen, für sich selbst, es soll ja jeder von seiner Arbeit leben können. Aber das zweite, das uneigennützige Feld der Architektur, hat auch immer existiert. Beginnend spätestens in den 20er Jahren, oder allgemeiner seit der Moderne hat es diesen Bestandteil, der auch immer mit der Forschung in unserem Beruf zu tun hat, als wesentliche Selbstrechtfertigung gegeben. Und das muss auf jeden Fall uneigennützig bleiben und für eine Allgemeinheit bestimmt sein, wobei es durchaus genug persönliche Umwegrentabilitäten für die Engagierten gibt. Wenn die Konzentration vieler auf die Eigennützungkeit aber so stark ist, das für das andere kein Interesse übrigbleibt, oder keine Zeit, schaden wir der Architektur selbst. Ich bin der festen Überzeugung, daß auch diejenigen, die kommerziell erfolgreich sind, in irgendeiner Art davon profitieren, dass von engagierten Personen oder Institutionen für das Architekturverständnis gearbeitet wird. Warum gibt es private Investoren, die plötzlich glauben, dass es wichtig ist, einen chicen Shop zu haben? Das ist doch auch erst irgendwann entstanden. Irgendeine Bildung, und sicher noch vor der Marketingbildung, muss dem zugrunde liegen. Leider wird das Feld der Uneigennützigkeit für das „Projekt Architektur“ scheinbar dünner.
MH: Wann hat es hier aufgehört zu funktionieren?
HS: Schon in den 90ziger Jahren, würde ich sagen, eben als es irgendwie enger wurde, meiner Meinung nach genau verkehrt.
MH: Wie wird Architektur in den Medien präsentiert?
HS: Isoliert kann man das nicht betrachten, diese Frage ist mir jetzt etwas zu einfach.Die Medien sind ein Teil des Ganzen. Obwohl natürlich eine extreme Mediengeilheit zu beobachten ist, das kann man so einfach schon konstatieren, denk ich, reine Repräsentationskultur ist hier das breite Ergebnis. Medien haben, wie viele andere Bereiche auch, ihre Unschuld in den 90ern verloren. Ich glaube, dass es notwendig ist, das zu überdenken, auch in unserem alltäglichen Verhalten.
HS: Ich möchte nicht als Jammerer übrigbleiben, das ist mir ganz wichtig, wenn wir so über momentane Phänomene reden. Abschliessend gesagt, wenn sich eine Szene etabliert, so wie offensichtlich aktuell in Tirol oder wie besprochen in Wien, ist das grundsätzlich nur positiv. Je mehr Architektur desto besser. Und wenn Teile davon über Shops und Marketing laufen, ist das auch OK, wenn man über dieses kleine Segment einmal einsteigen kann. Trotzdem glaube ich, dass es notwendig ist auch das andere Feld, die Forschung, die Suche nach Relevanz für die Gesellschaft, die Weiterentwicklungen in allen Feldern von Architektur und Urbanismus ohne momentane Aussicht auf Profit, Ruhm oder Ehre zu forcieren. Und dieses Engagement gibt es einfach zu wenig, das ist jetzt eine Aufforderung.
Anm.: Im Zeitraum seit 1991 wurden von Harald Saiko nach eigenen Angaben ca. 6066 Arbeitsstunden weitgehend unbezahlt für diverse Engagements und Forschungen geleistet. Das sind ca. 50,5 h / Monat oder 11,7 h / Woche und entspricht ca. 20% der Gesamtarbeitszeit.
Arch. Dipl. Ing. Harald Saiko, *1967
Studium der Architektur in Graz und Paris
Lehre, Forschung und Publikationen in den Bereichen Architektur, Wohnbau und
Urbanismus, seit 1999 eigenes Büro für Architektur, Prozesskoordination und
Stadtentwicklung (4 Dipl. Ingre. angestellt, 3-4 freie Mitarbeiter).
Weiters Tätigkeiten im Bereich Ausstellungskonzeption und Kulturmanagement, u.a.
Vorstandsmitglied im Haus der Architektur Graz, Mitglied der Stifterversammlung der
Architekturstiftung Österreich.