Handlungsmaximen zu Architektur und Baukultur
Kulturdialog Graz – Sparte Architektur
Architekturstadt Graz: Vorschläge für Handlungsmaximen zu Architektur und Baukultur n der Stadt Graz und ihrer nachgeordneten Abteilungen, Institutionen, Gesellschaften
1Vorbildfunktion der Stadt
Für die gedeihliche kulturelle, soziale und wirtschaftliche Entwicklung eines Gemeinwesens ist eine baulich qualitätsvoll gestaltete Umwelt unerlässlich. Die Gesellschaft fordert mit gutem Recht Architektur und Baukultur von Politik und Markt als existenzielle Voraussetzung ein.
Architektur und Baukultur entstehen nicht zufällig; sie wurzeln in einem gesellschaftlichen Konsens, in Eigeninitiativen der Planer und Bürger, nicht zuletzt in stimulierenden Maßnahmen der Gebietskörperschaften. Dem Bauherrn Stadt kommt dabei eine besondere Vorbildfunktion zu.
Eine vordringliche Aufgabe der Stadtregierung muss es daher sein, die Grundsätze der "Architekturpolitik" zu formulieren und bekannt zu machen. Dazu ist ein Kulturdialog bestens geeignet, der in ein Entwicklungskonzept „Baukultur in der Architekturstadt Graz“ münden sollte.
Qualitätsbindung für alle städtischen Baumittel
Bei allen von der Stadt Graz (mit-)finanzierten Bauvorhaben ist der ordnungsgemäße Umgang mit Budgetmitteln sicherzustellen. Daher muss eine Voll- oder Teilfinanzierung eines Bauwerks immer an die Wahrnehmung der baukulturellen Verantwortung geknüpft sein.
Das bedeutet durchgehend, die Bauaufgaben ganzheitlich zu definieren, zur Findung der besten Entwurfs- oder Konstruktionsidee Architekten und Ingenieurkonsulenten in geeigneten Verfahren zu befassen, die geistig-schöpferischen Dienstleistungen nicht nur über den Preis zu vergeben sondern über den Wert des Inhaltes, Planungs- und Ausführungsaufträge klar zu trennen et cetera.
Um das umzusetzen, ist ein administrativer Mindeststandard für Bauvorhaben, ein Qualitätskodex für den städtischen Bau, erforderlich. Ausgehend von den Rechtsgrundlagen der Projektdurchführung sollen darin Methoden und Kriterien der Qualitätssicherung erklärt werden.
3
Qualitätskontrolle bei Delegation öffentlicher Interessen
Die Verantwortung für die aus ästhetischen, kulturellen, sozialen, technischen und wirtschaftlichen Aspekten gebildete Gesamtqualität von öffentlichen Bauten ist auch dann uneingeschränkt wahrzunehmen, wenn das Bauwerk von einem aus der Hoheitsverwaltung ausgegliederten Unternehmen oder in Partnerschaft mit Privaten errichtet wird.
Dabei ist sicherzustellen, dass jene qualitätssichernden Verfahren eingesetzt werden, deren sich auch die öffentliche Hand nach nationalem und internationalem Recht bedienen müssen. Zudem wären heimische Regelungen wie die Wettbewerbsordnung Architektur und der Honorarordnungen der Architekten und Ingenieurkonsulenten bindend.
Entsprechende Aufträge an die ausgegliederten Unternehmen und Verträge mit Projektpartnern müssen diese Qualitätssicherung gewährleisten.
4
Chancengleichheit zu freier Berufsausübung in Europa
Sprichwörtlich heißt es: Wenn es der Architektur gut geht, dann geht es auch den Architekten gut. Umgekehrt gilt das genauso. Teil der Architekturpolitik muss die Sicherstellung guter Arbeitsbedingungen für die Architekturschaffenden, auch der jüngeren Generation in der Stadt sein.
5
Kreativindustrie „Architektur“ in der Vielfalt fördern
Nicht allein einige wenige, berühmte Architekten ergeben das Spektrum der Architekturschaffenden und nicht einige wenige Architekturen ergeben das Spektrum des Architekturgeschehens. Der architektonische Sachverstand ist in seiner ganzen Breite und Tiefe von der Architekturpolitik auch direkt ökonomisch zu fördern.
Signalarchitektur und alltägliche Baukultur dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden; vielmehr bedingen sie sich auf dem Markt der Ideen. Wenn man die Architekturschaffenden als Motoren einer Kreativindustrie „Architektur“ versteht, dann sind jene Stimulationsinstrumente sinnvoll, die bereits auf anderen Wirtschaftssektoren erfolgreich eingesetzt werden.
Den Architekturschaffenden soll ein besonders auf die dominante kleinteilige Betriebs- und spezifische Ertragsstruktur zugeschnittenes, städtisches Unternehmensförderungsprogramm angeboten werden.
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Qualität ist Konsumentenschutz
Schlechte Bauwerke belasten nicht nur die Bauherrn, sondern die Öffentlichkeit. Ästhetische, ökologische, soziale oder wirtschaftliche Defizite von Bauwerken, selbst von solchen die der Architektur zugerechnet werden, sind oft offenkundig. Die Ursachen werden aber selten klar benannt.
Dadurch verfestigen sich Vorurteile gegenüber der von den Architekturschaffenden beschworenen Qualität und verunmöglichen das Verständnis dieser Qualität als Element des Konsumentenschutzes. Dass gute Architektur nicht teurer sein soll als schlechte, ist ohne umfassende Aufklärung nicht argumentierbar.
Unerlässlich ist daher eine regelmäßige, alle Bereiche der Bautätigkeit der Stadt umfassende Berichtstätigkeit an Gemeinderat und Öffentlichkeit, wo die Bauten an den Zielen der Architekturpolitik und den Maßstäben der Fachwelt in für Laien verständlicher Form gemessen werden.
Ausbildung für alle Entscheidungsträger
Die an Bauentscheidungen Beteiligten verfügen oft nicht über gefestigte Anschauungen und Haltungen über Architektur. Politiker quer durch alle Ebenen sollten sich ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Architektur und Baukultur bewusst sein.
Bürgermeister, Stadträte, Gemeinderäte sind für Entscheidungen über die Architektur und Baukultur in der Stadt verantwortlich. Ihnen mehr Wissen über die Qualitätskriterien von Architektur zu vermitteln ist unabdingbarer Teil einer umfassenden Architekturpolitik.
Allen Entscheidungsträgern sollen daher mit Unterstützung der bestehenden Vermittlungseinrichtungen Einführungen in Architektur geboten werden, weil dies die weit verteilten behördlichen und politischen Einflussnahmen auf die Architekturproduktion rasch positiv beeinflussen wird.
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Umweltqualität als Bildungsgut
Die Qualitätskriterien von Architektur, Städtebau und Ingenieurbau, aber auch Raum- und Landschaftsplanung in die Schulbildung einzubringen ist langfristig für eine gelungene Architekturpolitik von überragender Bedeutung.
Qualitätsbauten sind gesellschaftliche Identifikationsträger, die gebaute Umwelt bestimmt alle Lebensbereiche: sie entscheidet über die Geborgenheit des Wohnens, über die Ergonomie des Arbeitsplatzes, das Image eines Betriebes, den Erholungswert einer Landschaft...
Es ist daher unerlässlich, in allen Schultypen und auf allen Altersstufen eine gestaltbedingende Aspekte berührende Umweltkunde zu etablieren.
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Architektonische Innovation ist kulturelles Erbe von morgen
Die kulturelle Wertschöpfung zeitgemäßen Bauens wird nach wie vor fälschlich allein in Konkurrenz zu ererbten Figuren von Stadt und Landschaft gesehen. Alte Bausubstanz nicht in positiver Wechselwirkung mit Neubauten gelesen. Die architektonische Innovation der Gegenwart ist aber das kulturelle Erbe von morgen.
Gegenwartsarchitektur kann nicht Jahrzehnte auf gesellschaftliche Aneignung warten, bis Raumgebrauch, Sehgewohnheiten und Architekturgeschichte Gewissweit über die Werte der Bauwerke verschaffen. Bewertungsversuche müssen sofort beginnen.
Die Institutionen der Architekturvermittlung, wie Architekturhäuser, aber auch Vertreter der anderen Künste wie aus Literatur, Film oder Fotografie sind darin massiv zu unterstützen, das Verständnis für Gegenwartsarchitektur im Verhältnis zum baulichen Erbe argumentativ und sinnlich zu stärken.
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Raumwirksamkeit steigern durch Gesetzesreform
Das Bauen ist weitgehend verrechtlicht, die Kompetenzverteilung anachronistisch und die architektonischen Innovation hinderlich.
Vereinheitlichte Bau- und Raumordnungsgesetze stehen nicht in Widerspruch zu den Phänomenen des regionalen Bauens, da sich dessen Eigenarten in der kulturellen, und nicht in der rechtlichern Sphäre verfestigen.
Ein bundeseinheitliches Baurecht, wie auch ein Landesgrenzen überschauendes Raumordnungsrecht sind Voraussetzungen für langfristige Aufwertung der Lebensräume, die Stadt könnte bei den Initiativen zu diesen Reformen aktiv mitwirken.
Harald Saiko, 25.09.2003 (mit Dank an die Plattform für Architektur und Baukultur Österreich)