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Die Grazer Zeichensäle als Best-Practice-Modell,
oder warum zuerst alles eine Frage der Kommunikation ist.

Am Beginn eines neuen Jahrtausends

Die Lage der Architekten ist nicht beneidenswert. Die Ware, die sie anbieten, wird derzeit wenig nachgefragt. Und wenn nicht alles täuscht, dann wird sich diese Nachfrage auf Dauer strukturell verringern. Die Ware Architektur mag Kulturgut sein, sie unterliegt aber in dieser Eigenschaft auch den Gesetzen des Marktes. Nicht zuletzt die mediale Ökonomie der Aufmerksamkeit entscheidet über Kursgewinne und –verluste. Bleiben wir bei der Börsenanalogie: Nach den wilden Kurssteigerungen der neunziger Jahre erleben wir heute einen dramatischen Wertverfall von Konzepten, die noch vor wenigen Jahren einfach „supercool“ waren. Eisenman und die kritische Architektur? Er glaubt selbst nicht mehr daran. Die Schweizer? Die Holländer? (Die Grazer Schule? Anm.d.V.) Wir erinnern uns dunkel, da war doch mal was. Der architektonische Gott, der aus dem Rechner kommt?
Aus dieser Kirche sind wir ausgetreten. Nur Coop Himmelb[l]au müssen als architektonische Brennstoffhändler gut leben: Die immer selben Schrägbriketts lassen sich gut verkaufen. Selbst Libeskind macht das singuläre inzwischen zum Serienprodukt und dem Markt gefällt´s. Die Unermüdlichen rufen nun zur Repolitisierung auf und entdecken zum x-ten Mal die Stadt: Die Architektur will den Kontakt zum Allgemeinen doch nicht
verlieren. (Zit.)

Was sich hier nicht besonders optimistisch anlässt, endet in einem aktuellen Artikel von
Ullrich Schwarz doch noch mit einer Exit-Strategie, wenn auch als Aufforderung an die
„Architektur“ zur Selbstreflexion und Aktivität. Mittels Anführung von 10 Thesen in dem
besonders von kritischen Studierenden beliebten Architekturorgan Arch+ ist der Theoretiker und Herausgeber aus Hamburg einer jener Vertreter, die unter dem Titel der reflexiven Moderne eine neue Sichtweise und Einbettung der Architektur und deren Entstehungsprozesse im gesellschaftlichen Kontext forcieren.

Betrieben mit weiteren Vertretern wie etwa Bart Lootsma ist die Suche neben ihrem inhaltlichen Output auch Symbol für eine Diskussion des Wandels, die mittlerweile unbestritten abseits von Formalismusdebatten geführt wird. Und nicht die Debatte über die „Haltung“ einer reflexiven Moderne ist Anlass des Zitats, wiewohl dieser Ansatz meiner Meinung nach für eine neue Selbstfindung der Architektur hilfreich sein wird, sondern eben ihr Symbolwert für die Suche von Veränderungsbewältigung angesichts fehlender Wachstumseuphorien. Zitierenswert auch deshalb im Diskussionskontext um die Situation der Zeichensäle in Graz, weil die angesprochenen Proponenten Schwarz, Lootsma wie auch Arch+ und dessen Redaktion wohl des Schwarzmalens unverdächtig sein sollten. Denn sie sind nicht praktizierende Architekten, dafür aber aus bis zuletzt blühenden Architekturproduktionsgegenden. Oder trügt der Schein?

Globalisierung (auch auf der Insel der Seligen)

So schillernd der Begriff in allen Lebenslagen auftaucht, als Mythos, Ideologie, Schreckensbild oder einfach als Ausrede, sowenig hilft er den komplexen gesellschaftlichen Wandel selbst, welcher zweifellos im Gange ist, oder gar die bevorstehende Zukunft zu erklären. Und der Begriff selbst wird dies auch bei der Suche nach der Zukunft der Zeichensäle in Graz nicht tun.
Als Sinnhintergrund am Begriff Globalisierung interessant ist aber die im Wort selbst versteckte Wahrnehmung einer Veränderung zur Welt als einer Realität, als einem Ort.
Wenn dies vielleicht auch die einzige verbindliche Aussage dieses Begriffes darstellt, ist dies gemessen an seiner globalen (!) Erscheinung und Verwendung an sich schon phänomenal genug. Diese Tatsache sowie das damit verbundene Anerkennen eines uns alle betreffenden Wandels hat wohl unbestritten gesamtgesellschaftliche Akzeptanz erfahren, in Holland, dem Norden Deutschlands wie auch in unseren Breiten. Dies sollten wir daher auch bei der lokalen Betrachtung nicht vergessen, wobei wir u.a. beim Phänomen der Grazer Architekturausbildung wären.
Denn natürlich gab es Debatten über die Veränderung des Berufsbildes wie auch ergo über die entsprechenden Ausbildungsformen in all den Jahren zuvor, bis zurück zu den sogenannten 68ern, u.a. der angeblichen Geburtsstunde der Grazer Zeichensäle in der letztgültigen Fassung. Und daß die Gesellschaft an sich permanenter Wandel ist, ist nicht neu. Dies passierte jedoch über die letzten Jahrzehnte in einem begrenzten Nationalstaat, der in einem geschlossenen System mehr oder weniger autark die eigene - ständig steigende - Gesamtleistung zur wohlfahrtlichen Umverteilung nutzte, je nach Mehrheitsmeinung eben in diese oder jene gesellschaftspolitische Richtung. Unsere Verhaltensmodi aus dieser Zeit sind geprägt von scheinbar unveränderlichen Strukturen mit eindeutigen Verantwortlichkeiten, aufgebaut auf wenige Klassen in die die Gesellschaft verlässlich eingeteilt werden konnte.
Doch damit ist´s wohl unwiderruflich vorbei und die Folgen dieses Auflösungsprozesses tauchen in fast allen Gesellschaftsbereichen symtomatisch auf, wenn dies der Hochschuldebatte ein Trost sein kann. Die Symptome dieses Auflösungsprozesses werden aber als Konflikte im herkömmlichen Sinne verstanden, nach den alten Verhaltensmustern verhandelt: Arbeitgeber vs. Arbeitnehmer, Links vs. Rechts, Stadt vs. Land, Land vs. Bund, (Zeichensäle vs. Univerwaltung?) usw. Paradoxerweise führt das vermehrte Auftreten von derartigen gesellschaftlichen Konflikten sogar zum Wiedererstarken der einen oder anderen Interessensvertretung mittels altbekanntem Vokabular, wiewohl dieser „Erfolg“ meiner Meinung nach ein trügerischer sein wird, wenn es nicht gelingt das eigene Handeln auf die neuen Gegebenheiten abzustimmen. Wir müssen uns gewahr sein, dass alles Tun und Wollen im gesamtstaatlichen Zusammenhang eben nicht mehr länger innerhalb der nationalen Grenzen allein durch uns selbst – politisch – ausverhandelt werden kann, sondern die sichtbaren und unsichtbaren Kräfte der einen Realität, des einen Ortes zumindest mitbestimmen oder gar bestimmen. Und diese Kräfte, mögen sie noch so langsam und arbiträr wirken, diffundieren in der einen oder anderen Erscheinung in alle unsere Lebensbereiche, also auch in die Ausbildungssysteme.

1. Inhalt 2. Leistung 3. Kommunikation

Das relativ ausführliche Intro scheint mir notwendig, da diese Erscheinungen offenbar – siehe die ggst. Diskussion - auch die Universitäten und damit die dort implementierten Organismen voll erfasst haben. Und damit ist die Lage vermutlich ernster, als diverse Ausbildungsdebatten der Vergangenheit, die auf von oben ausgelöste Meinungs- und Gewichtungsverschiedenheiten und deren Austragung durch die paritätisch beteiligten Interessensvertretungen zurückzuführen waren.
Und das Unangenehme der „neuen“ Konflikte ist, daß sie halt leider zur falschen Zeit kommen, obwohl sie natürlich genau wegen dieser Zeit kommen. Denn „Globalisierung“ ist geprägt durch Phänomene wie die Internationalisierung fast aller Handlungen und Tätigkeiten, folgend die wachsende materielle wie geistige und personelle Mobilität, die Veränderung der Alterspyramiden aber vor allem die Änderungen in den Wertebegriffen mit der folgenden Zersplitterung der Gesellschaft in verschiedenste Lebensstilgruppen, statt der vormals wenigen Klassen. Und ohne das schillernde Wort der „Ökonomie“, welches dem Begriff Globalisierung meist auf den Fuß folgt, überstrapazieren zu wollen, ist der (mehr-oder-weniger-) Zusammenbruch der öffentlichen Haushalte, in den europäischen Wohlfahrtsstaaten und Ihren Kommunen natürlich ein großer weil sofort spürbarer Sprengstoff, in dieser Veränderungsdynamik.

Das Ergebnis dieser Phänomene für den Einzelnen, für Gesellschaftsgruppen und Organisationen ist, sofern sie sich nicht rechtzeitig in einen – noch - geschützten Bereich retten konnten, in der Tat eine 3-fach Belastung:
Denn die „Produktion“ der Waren, der Dinge, der geistigen Leistungen, also der „Inhalte“ im weitesten Sinne ist und bleibt natürlich Grundlage jeder Gesellschaft, wenn auch die Inhalte wie der Anspruch und die Motivationen je Zeitalter, Wissensstand, Kultur usw. verschieden sind. Die Inhaltsproduktion wurde aber spätestens seit den neunziger Jahren einem Leistungsdruck unterzogen, der die erste Phase der Globalisierung mit einem Schub an Beschleunigung begleitete. Ohne an den bestehenden Strukturen zu zweifeln wurde dieser Phase aber mit Euphorie begegnet, die „Integration“ dieser neuen Marktbedingungen wurde oft Bestandteil der Inhaltsproduktion, manchmal sogar zum Erfolgsmodell – Survival of the fittest.
Doch in der zweiten Phase der Globalisierung sehen wir wie im Intro beleuchtet, daß mit unaufhörlicher Beschleunigung und Leistungssteigerung zu Beginn des neuen Jahrtausends allein nicht mehr auszukommen ist und sich unsere bekannten
innerstaatlichen Strukturen ändern müssen, und dies bereits begonnen hat. Folge ist, daß die Inhalte (in kürzerer Zeit / um weniger Geld) zwischen oft „unbekannten“ Partnern und/oder zwischen den gleichen Partnern aber mit völlig geänderten Motivationen und Zwängen ausverhandelt, geleistet, verwaltet werden müssen. Die dritte Belastung tritt als
Phänomen des 21.Jhdts. auf: die Notwendigkeit von Kommunikation.

Kommunikation als Entwicklungschance

Und Kommunikation meint hier weder nur die Diskussion unter den Personen und Gruppen oder marketinggerechte Informationsaussendung vom Einen zum Andern, noch den entstanden (technischen) Hype der Informationsmittel und Werkzeuge vom Mobiltelefon bis zum Internet und deren transportierte Bild- und Wortflut. Kommunikation ist heute vielmehr als Gesamtheit der Aktionen und Interaktionen zu sehen, welche erkannt, formuliert und visualisiert sowie transportiert und vermittelt werden müssen. Und natürlich das ganze retour und nicht als linearer starrer Vorgang, sondern permanent veränderlich in Abstimmung mit den evaluierten Signalen der weiteren Teilnehmer des
Kommunikationsnetzes.
In diesem Sinne gesehen, kann Kommunikation aber auch zur großen Chance in den schwierigen weil ungewohnten Zeiten der Veränderung werden. Vorraussetzung ist die Erkenntnis, althergebrachte Polaritäten aus der eigenen Sichtweise zu verbannen und darauf aufbauend Bereitschaft zum offenen und unvoreingenommenen Scanning der – eigenen und anderen – Motivationen, Ziele und Rahmenbedingungen. Sprache sollte dabei als Indikator bewusst wahrgenommen werden, da sie vergrabene Denkweisen anzeigt, deren selbstverständlicher Gebrauch die dahinterliegenden Gewohnheiten permanent fortschreiben.
Auf den Anlass der Zeichensäle umgelegt: Der auch heute noch hochgehaltene Begriff der „Autonomie“ stammt aus einer Zeit, als man sich gegen heute zurückgedrängte Werthaltungen und eine strenge von oben bestimmte Hierarchie abgrenzen musste, um allein zu sein – als Zelle. Nur so sah man sich imstande, Beeinflussungen einer festgefügten bis in die Politik verankerten Hierarchie abzuwehren um die Freiheit für neue, liberalere Aktionsmöglichkeiten zu erkämpfen. Naturgemäß transportiert der Begriff diese Einkapselung und Abwehr immer noch und kann beim – positionell noch gleichen –
Gegenüber nur die reziproke Abstoßung provozieren. Allein, die Situation hat sich mittlerweile völlig umgekehrt: „Autonom“ werden die Universitäten mehr und mehr selbst und sind schlichtweg ungeübt mit der internen Verteilung von Verantwortung (=Inhaltliche Ausrichtung + Geld, Personal, Ressourcen). Sind da nicht die selbsterhaltenden Praktiken der Zeichensäle, wie Selbstverwaltung von inhaltlicher Ausrichtung, Geld, Personal und Ressourcen schon längst eine ideale Erleichterung für den „Provider“ Universität: Transparente Eigenverantwortlichkeit statt Autonomie?
In diesem Sinne wird die notwendige Kommunikation sichtbar: Eigene Positionen erkennen und definieren, Verständnis suchen, Rechtfertigungen bieten und Überzeugungsarbeit leisten in einer Art und Weise, wie es die verschiedenen Gegenüber aus ihrer Position und Motivation betrifft.
Es muss für einen autonomen Universitätsorganismus, d.h. jedem einzelnen einer ziemlich heterogenen Gruppe von Personen, nachvollziehbar werden, warum z.B. einige der schönsten und prominentesten und also in Zukunft teuersten Räume im Zentrum der gesamten Universität für diese Ausbildungsform am sinnvollsten sind. Solange das Phänomen Zeichensaal nur als solches und mit ein paar umgebenden Mythen wie rauschenden Festen, drinnen Wohnen und Schlafen und irgendwie „interessanter“ Architektur assoziiert wird, wird sich der „Inhalt“ dieser Erscheinung in externen Köpfen nur schwer mit den neuen Anforderungen an die autonome Universität zusammenbringen lassen.
Die (Aus-)Bildungsform Zeichensaal, und nichts anderes ist diese Werkstatt in erster Linie im Kontext der Universität als (Aus-)Bildungsstätte, sollte erkannt und bewertet werden können.
Dafür Fähigkeiten der Kommunikation zu trainieren ist im Übrigen keine vergebene Liebesmüh´ für ein einmaliges Projekt: Es sind Sozialkompetenzen und Kommunikationskompetenzen, welche im beruflichen Navigieren durchs Leben und dessen immer vielfältigeren Interessenszusammenhänge zunehmend von Wichtigkeit sind und genauso für die Tätigkeiten im Bereich der Architektur unabdinglich werden.

Scattered Image – Ausbildung für welches Berufsbild?

Wenn nun die Grazer Version der Zeichensäle als spezielles Ausbildungsmodell untersucht wird, wie es im Kontext dieser Publikation in differenzierter Weise stattfindet, stellt sich natürlich die Frage, auf welche Tätigkeiten im Bereich der Architektur und ihre jeweiligen Berufssituationen dies abzielen sollte. Dass diese Grundsatzfrage auch Teil von Dispositionen auf Universitäts- und Fakultätsebene sein wird, ist klar, und damit auch auf Studierende der Ausbildungsform Zeichensaal über Lehrpersonal und Studienpläne wirkt, ebenso. Ein Kapitel einer Berufsbilddebatte zur Grundlage universitärer Ausbildung ist an dieser Stelle daher nicht angebracht. Eine Einschätzung der einen (globalisierten) Realität als Spielfeld konkreter Architekturproduktionen sei aber erlaubt, wenn es wiederum konkrete Anstöße für die Bewertung der Zeichnsaalausbildungsform bringen könnte.
Dabei kann einleitend die Arbeitswelt generell hergenommen werden, welche sich von den festgefügten Klassen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer der industriellen Ära bereits unabsehbar in neue Formen einer Wissensökonomie verändert. Und diese Verflüssigung in neue Netzwerke und Teamworks, Arbeitsgemeinschaften und Projektpartner sind nicht nur neue Konstellationen der vormaligen Gegenüber aufgrund ökonomischer Faktoren, von Einsparungen, vielmehr sind sie natürlich die Folge der Anforderungen der Arbeit (sprich die Produktion der Inhalte) selbst. In einer postfordistischen Zeit, die die Aufgabe Produktion und Produktionssteigerung zur Warenbedürfnisbefriedigung allein überwunden hat, müssen für die sich permanent wandelnden Anforderungen und Ziele der verschiedenen „Projekte“ ständig neue individuelle Produzenten zusammengestellt werden. Diese neue Arbeit und deren permanent flottierende und changierende Arbeitsteilung geht weg vom klassischen Beruf und hin zum Erfordernis des „Portfolios“. Das Sammeln, Andocken und Weiterentwickeln von immer mehr Fähigkeiten und Know-How-Skills, ohne aber zu wissen in welcher Form diese beim nächsten „Projekt“, das man sich womöglich noch selbst entwickeln muß, anzuwenden sind. Dass dies tendenziell immer mehr weg von der ohnabhängigkeit und Angestelltentum hin zu Selbstunternehmertum führt, ist klar. Dass dies immer mehr weg vom vordefinierbaren Produkt(-management) zum nicht planbaren Prozess(-management) leitet ist auch klar, was dazu führt, daß der Einzelne durch seine Karriere navigieren muss, im besten Falle steuert er sie. Und das nicht allein. Wie eingangs erwähnt, müssen in permanent wandelnden Chancengemeinschaften die unvermeidlichen Risken und Unsicherheiten dieser neuen Arbeitswelt durchschifft werden, um gemeinsam nach Erfolgen zu jagen und sich die Beute nach eigener Vereinbarung zu teilen.

Lokalität

Wie alle Bemerkungen zuvor in diesem Artikel, ist auch das Statement zur Arbeitswelt nicht als neue einzige Wahrheit misszuverstehen, die durch die Auswirkungen der Globalisierung eine alte Wahrheit ersetzt. Vielmehr ist meiner Meinung nach immer die individuelle Situation zu suchen, welche zwar durch die Bedingungen der einen Welt gerahmt wird, sich aber in einer lokalen Ausprägung zeigt.
Auf den Architekturberuf in unseren Breiten umgelegt fällt dies nicht schwer: Noch bis Mitte der 90er, also bis vor wenigen Jahren war in der Produktion der schon eingangs erwähnten sog. Grazer Schule die Struktur relativ konsistent. Ein breiter Stab an fachlichem Amtspersonal bereitete mittels politischer Förderung (bzw. Schutz!) Projekte von Bedarfsanalyse bis Wettbewerb vor, koordinierte Fachplaner und überwachte bzw. leitete die Ausführung der öffentlichen Bauwerke bis zur Übergabe an die Bauherren. Architekten war der klassische Part von Vorentwurf bis Detailplanung und künstlerischer Oberaufsicht vorbehalten, eine Honorarordnung zumindest als Berechnungsanhalt gewährleistete die kontinuierliche Führbarkeit von Büros. Das Amtspersonal bot durch die Fachabteilungen einen kompetenten Ansprechpartner als Bauherrenvertreter, bei Bedarf auch Schiedsrichter oder Vermittler. Städtebau existierte als amtliche Rahmenplanung, die in Form von auf den jeweiligen Entwurf abgestimmten Bebauungsplänen die politischrechtliche Absicherung des Projektes in den umgebenden Kontext erfüllte.

Diese Zeit ist Vergangenheit und die meisten der Ämter gibt es schlichtweg nicht mehr. Auf einem vergleichsweise freien Markt werden die geistigen Leistungen von immer anonymeren Bauherren zusammengestellt, das notwendigste Minimum vor Augen, versteht sich. Generalplanerverbünde mit Architekten-ARGEs finden sich, begleitet von externen Projektsteuerern und Controllern, um sich nach Projektende wieder aufzulösen. Die (Investoren-)Gesellschaft als anonymer Bauherr vergibt Entwurfs- und Planungsaufträge für Funktionen und Nutzer, die nicht zur Kommunikation zur Verfügung stehen, ja womöglich noch gar nicht bekannt sind, der Schiedsrichter ist allenfalls das zuständige Gericht. Stadtentwicklung tut Not in der Standortkonkurrenz, aber lineare Stadtplanbarkeit ist längst unmöglich geworden, angesichts der vielfachen Interessen, Mächte und Einflüsse, die um jedes Projekt kummulieren.
Landesholding und KAGes, GBG und MCG, Immorent und Brauunion, BIG und LIG.

Best-Practice for High-Potentials

Daher rufen Unermüdliche nun zur Repolitisierung auf und entdecken die Stadt. Die Architektur will auch hierorts den Kontakt zum Allgemeinen nicht verlieren, wenn auch die Pflänzchen noch zart sind. Eine Sichtweise, daß der Architekturberuf nicht nur Entwurf und Planung von Gebäuden ist, wird zumindest in der jüngeren Generation verbreiteter. Neben der legitimen Labelarchitektur zum Verkauf von Image vom Shop bis zum Konzern werden Prozesse und Überlegungen von Herstellung, Aneignung und Gebrauch der Gebäude aber auch der Stadtlandschaften zunehmend bewusst. Zur Frage der „Form“, welche vom Blatt (Bildschirm) nicht mehr 1:1 in die Realität gesetzt werden kann, gesellt sich die Frage nach den sozialen, politischen und ökonomischen Anforderungen der Architekturen. Die Erkenntnis, daß alle Proponenten dieser Faktoren in einem Boot sitzen, führt zur Anerkennung der Notwendigkeit von Vermittlung, Kommunikation und Projektsaufbereitung als tragende Grundlage zur Produktion zeitgenössischer, kritischer und innovativer Inhalte.
In diesem Sinne wird klar, daß die Anforderungen an die akademische Ausbildung für die kommenden Architekturberufe schwer vorweg in anhaltende Fächer und Studienpläne zu fixieren sind. Sinnvoller wird sein, nach Formaten und Formen der Ausbildung zu suchen, die relativ schnell und flexibel auf relevante Strömungen und Entwicklungen reagieren. Trotz Effizienz und Leistungsbezogenheit müssen Offenheit und hohe Entwicklungspotentiale bei den Studierenden trainiert werden, statt sie mit vorgefassten Wünschen und Ansprüchen in die Realität zu entlassen. Denn die heutigen Ansprüche der einen, globalisierten Realität können von den Studierenden nicht erfüllt werden und die Wünsche vieler Studierender werden von der Realität leider nicht erfüllt. Was bleibt ist Enttäuschung auf beiden Seiten. In diesem Sinne kann die gegenständliche Initiative aufzeigen, daß die Ausbildungsform Zeichensaal als trainee-artiges Netzwerk dieser Problematik eine konkrete Lösung anbietet. Die Aneignung von Bildungen unter Wettbewerbsbedingungen und mit Druck zur Kommunikation statt pure Informationsansammlungen ist der Schlüssel des Erfolges.

Der Zeichensaal für die Architekturausbildung hat die Chance auf ein Best-Practice-Modell für High-Potentials.

Gstöttner / Kappl / Wallmüller / Zipperle (Hrsg.)
open:24h
workground playground
edition selene, Wien 2003

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